In den bisherigen Blogs zum Interdisziplinären Forschungsprojekt „Nikolaihof“ haben wir uns mit der antiken Vorgeschichte und der mittelalterlichen Besitzgeschichte befasst. Diesmal wollen wir uns der mittelalterlichen Baugeschichte zuwenden. Da hierzu die Forschungen erst am Anfang stehen, sollen hier nur erste Erkenntnisse und Beobachtungen vermittelt werden:
Wie bereits dargelegt, wurde der Nikolaihof an der Stelle eines spätantiken Kleinkastells im Nordostbereich des Großkastells Favianis in Mautern an der Donau gegründet. Die Strukturen dieses ca. 30 x 30 m großen Mauergevierts sowie die unmittelbar östlich befindliche Lagermauer gaben bis in das 15. Jahrhundert grob den Rahmen für die bauliche Entwicklung. Da die östliche Lagermauer gemäß den bisherigen Grabungsergebnissen und der geophysikalischen Prospektion in Nord-Süd-Richtung genau durch die Mitte des heutigen Nikolaihofes verläuft und diese Mauer für die um 1300 neue Stadtmauer als Grundlage diente, befindet sich die hochmittelalterliche Bausubstanz nur im Westteil des heutigen Hofes, das heißt innerhalb der Befestigung.
Von der auf Basis der schriftlichen Überlieferung anzunehmenden frühmittelalterlichen Nutzung, insbesondere der Kirche, gibt es bislang keine gesicherten Befunde, die damit in Verbindung zu bringen sind. Die Ausmaße der romanischen Agapitkapelle sind zu gering, um diese mit dem Veranstaltungsort der Passauer Bischofssynode des späten 10. Jahrhunderts identifizieren zu können. Möglicherweise wurde das gesamte Kleinkastell ursprünglich als Kirche genutzt, dafür fehlen aber bislang die archäologischen und/oder bauhistorischen Belege.
Als älteste Baukörper auf dem Areal des Nikolaihofes sind heute die im Südteil des Westtrakts befindliche Agapitkapelle, ein nördlich anschließender Saalbau (das heutige „Presshaus“) und ein weiterer langrechteckiger Baukörper im Nordtrakt zu identifizieren. Alle drei Gebäude sind Ost-West-orientiert. Zwischen dem Saalbau und dem Gebäude im Nordtrakt befand sich eine Lücke, die als Zufahrt in die Hofsituation diente. Möglicherweise bestanden im Nordwestbereich der Anlage seit dem Mittelalter weitere Gebäude, wie die geophysikalische Prospektion und die Bebauung im Franziszeischen Kataster von 1821 anzeigen. Da diese aber heute nicht mehr existieren und in diesen Zonen bislang keine Grabungen stattgefunden haben, wissen wir nicht, wie alt diese Strukturen sind.
Von den drei gesicherten romanischen Bauten verfügen wir nur beim Saalbau über eine exakte Baudatierung: Dank der dendrochronologischen Bestimmung der Fälldaten der Bauhölzer der Balkendecke zwischen Erdgeschoß und Obergeschoß sowie des originalen Dachwerks ist dieses Bauwerk um/knapp nach 1217/18 errichtet worden. Aufgrund von archäologisch untersuchten Vergleichsbeispielen aus anderen Wirtschaftshöfen wie dem Passauerhof in Klosterneuburg können wir davon ausgehen, dass das Erdgeschoß wie auch heute noch als Presshaus diente, während das saalartige Obergeschoß repräsentativen Zwecken gewidmet war. Erst im frühen 16. Jahrhundert wurde es in einen Speicher umgebaut, worauf die spätgotischen Stützsäulen für den Unterzug sowie die kleinen Fenster im Obergeschoß hinweisen.
Die Agapitkapelle dürfte nach Ausweis des Mauerwerks älter sein als der Saalbau, wir nehmen aktuell eine Errichtung im 12. Jahrhundert an. Im späten 15. Jahrhundert, nach dendrochronologischer Datierung des heutigen Dachwerks um 1495, wurde sie umgebaut. Dabei wurde der Kirchenraum mit einem spätgotischen Netzrippengewölbe überspannt. Möglicherweise wurde zu diesem Zeitpunkt auch ein älteres Chorquadrat, das durch Grabungen und die geophysikalische Prospektion angenommen werden kann, abgetragen. Der romanische Baukörper im heutigen Nordtrakt schließt direkt an den noch erhaltenen Hufeisenturm der spätantiken Lagererweiterung an. Kleine Schlitzfenster in der Südmauer könnten ein Hinweis sein, dass dieses Gebäude wirtschaftlichen Funktionen diente.
Im Zuge der Erneuerung der Stadtbefestigung im späten 15. Jahrhundert wurde die Stadtmauer nach Osten erweitert. In diesem Zusammenhang wurde wohl auch die Lagermauer abgetragen. Dadurch konnte der Nikolaihof nach Osten bis zu heutigen Nikolaigasse erweitert werden. Eine neue Toranlage mit kleinem Torturm, einem Wohnbau mit Stube im Obergeschoß im Südosten sowie ein weiteres Gebäude im Bereich des heutigen Südtrakts zeugen von dieser Erweiterung und stadträumlichen Umorientierung.
Dazu und zur neuzeitlichen Bau- und Nutzungsgeschichte erfahren Sie in einem der Folgeblogs mehr.
Elisabeth Gruber und Thomas Kühtreiber