Die Wiener Stadtbücher – Rechtshistorisches Glossar
Wilhelm Brauneder und Christian Neschwara
Grundsätzlich sei verwiesen auf das „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“ sowie auf das „Deutsche Rechtswörterbuch“, auch auf die Sachregister zu den Darstellungen des „Deutschen Privatrechts“ insbesondere von R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 2. Neudruck der 5. Aufl. Leipzig 1930 (Aalen 1982) und H. Mitteis – H. Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Aufl. (München 1981).
In der Folge sind daher nur die für diese Edition wichtigsten Begriffe und Rechtsinstitute kurz erläutert bzw. solche, die für Wien typisch sind und zufolge ihrer lokalen Ausformung in allgemeinen rechtshistorischen Darstellungen nicht oder nur kurz zu finden sind.
Burgrecht / Der mittelalterlichen Rechtsanschauung mit ihrer vorrangig dem äußeren Erscheinungsbild verhafteten Betrachtung erscheint das B. als eine zwar unterschiedlich begründbare, aber einheitliche, eben gleichbenannte rechtliche Erscheinungsform (auch „Grundrecht“, „ius emphyteuticum“). Nach den Kriterien der modernen Rechtswissenschaft hingegen, die hauptsächlich auf den Begründungsvorgang abstellt und nicht auf die begründete Rechtsmacht, verbergen sich unter einem Namen zwei Rechtsinstitute. Diesen – unten A) und B) – ist es gemeinsam, dass der an einem Vermögensobjekt, in der Regel einer Liegenschaft, jeweils umfassend Nutzungs- und Verfügungsberechtigte aufgrund dieser Rechtsstellung an einen Anderen eine regelmäßige Leistung zu entrichten hat. Diese mit dem Vermögensobjekt verbundene Leistungspflicht begrenzt die Rechtsmacht des Nutzungs- und Verfügungsberechtigten und gibt ihr einen bestimmten Inhalt: Sie ist B., nicht „freies Eigen“, welches durch das Fehlen derartiger Leistungen bestimmt wäre. Mit B. wird aber nicht nur die (beschränkte) Rechtsmacht, sondern auch ihr Charakteristikum, die jeweilige Leistung bezeichnet.
A. Burgrechts-Leihe / Sie ist freie Erbzinsleihe: Ein bestimmtes Vermögensobjekt – Liegenschaften wie Weingärten, Gärten, auch Brandstätten, ferner Häuser und Keller – wird vom Leihegeber dem Leihenehmer und seinen Nachkommen ohne zeitliche Beschränkung (daher „Erb“-Leihe) in die Nutzungs- und Verfügungsgewalt übertragen, ohne dass es damit zu einer persönlichen Abhängigkeit des Leihenehmers vom Leihegeber gekommen wäre (daher „freie“ Leihe). Die Gegenleistung dafür kann entweder allein in der Entrichtung einer regelmäßigen Geldleistung (= Zins: daher Erb-„Zins“-Leihe) bestehen oder zusätzlich in einem Kaufpreis. Die Rechtsmacht des Leihenehmers besteht in der Nutzungsgewalt über das ganze Objekt ebenso wie in dem Recht, das B. zu veräußern und zu verpfänden. Die Rechtsmacht des Leihegebers umfasst das Zinsbezugsrecht, allenfalls die Kaufpreisförderung, und die Mitwirkung bei Veräußerungen und Belastungen durch den Leihenehmer.
B. Burgrechts-Rente / Hier handelt es sich um eine Form des Rentenkaufs: Der Rentengläubiger erwirbt mit der Hingabe einer Geldsumme an einen Liegenschaftseigner gegen diesen und den jeweiligen Liegenschaftseigner als Rentenschuldner das Recht auf regelmäßige Entrichtung einer Geldsumme („Rente“). Mit der Verpflichtung zur Rentenzahlung ist der jeweilige Liegenschaftseigner ebenso wie bei einer Verpflichtung zu Zinszahlung (o. A.) in seiner Rechtsmacht beschränkt. Der Unterschied zur B.-Leihe besteht darin, dass bei dieser als Gegenleistung für die regelmäßige Natural- oder Geldleistung die Übergabe des Vermögensobjektes zu B. erfolgt, bei der Rente hingegen die Gegenleistung für die Rentenberechtigung in der Zahlung einer Geldsumme besteht, das Vermögensobjekt aber den Besitzer nicht wechselt: Bei der Leihe liegt von Anfang an die beschränkte Rechtsmacht B. vor, bei der Rente wird diese erst durch den Rentenkauf zum B. beschränkt. / Lit.: HRG I: Burgrecht; H. M. Schuster, Beiträge zur Geschichte des Wiener Privatrechts im Mittelalter, in: Berichte und Mitteilungen des Altertumsvereins zu Wien 43 (1910) 125 ff. bzw. 44 (1911) 103 ff. bzw. 45 (1912) 75 ff.; H. Stradal, Leihe zu Burgrecht und Wiener Rechtspraxis im 14. Jh., in: FS Heinrich Demelius (1973) 237 ff.
Ebenteuer / Das Rechtswort E. steht in seiner umgangssprachlichen Bedeutung als „gleich hoher Wert“ im Sinn von Gegenwert oder Gleichwertigkeit für verschiedene Leistungen, deren Hauptfunktion jeweils im Austausch eines gleichen Werts („eben [so] teuer“) liegt. Als E. wird im spätmittelalterlichen Rechtsleben Wiens ursprünglich das bei Verfügungen über Unmündigen verfangenem Vermögen dem Erwerber als Sicherstellung gegen Anfechtungen wegen Verletzung der Erbenwartrechte seitens der volljährig gewordenen Warteberechtigten (vgl. Nr. 1183) bestellte Kautionspfand bezeichnet. Von diesem Regelfall ausgehend, findet die E.-Bestellung als Rechtsinstitut der Eviktionshaftung bei Verfügungsgeschäften schlechthin Anwendung: zur Sicherstellung des Erwerbers bei Verfügungen über Mündelvermögen durch den Vormund oder bei Verfügungen über Vermögen von dauernd Abwesenden (Verschollenen) sowie im Rahmen familienrechtlicher Stellvertretung bei Verfügungen über Vermögen von Verwandten (Nr. 694). Schlieálich wird die E.-Bestellung bei Verfügungen über Liegenschaften als Gewährschaftspfand allgemein zur von Rechts wegen geschuldeten Sicherung des Erwerbers. Als Kautionspfand dient sie auch der Sicherung von Leistungsansprüchen des Gläubigers im Rahmen eines Schuldverhältnisses sowie als wetteinsatzähnliche Sicherheitsleistung im Gerichtsverfahren dem Schutz des Beklagten vor willkürlicher Klagsführung. Das Rechtswort E. wird darüber hinaus als Synonym für das in strafrechtlichen Sanktionen zum Ausdruck kommende Talionsprinzip sowie bei wirtschaftlichen Unternehmen als Synonym für die Gefahrtragung im Sinn von „Abenteuer“ (eventus) verwendet. / Lit.: Th. Mayer-Maly, Ebenteuer, in: ZRG, GA 72 (1955) 216 ff.
Echte („ehaft“, „erhaft“) Not („notgult“) / E. N. bezeichnet eine Notlage, die von der Rechtsordnung – etwa Stadtrecht 1278 Art. 24 (deutsch), 1340 Art. 52; Wiener Stadtrechtsbuch Art. 82 u. 83, Österreichisches Landrecht Art. 20 – als Entschuldigung für ein an sich rechtswidriges Verhalten anerkannt wird. Dieses gilt als rechtsmäßig, soferne die Notlage bewiesen werden kann. Das Vorliegen e. N. stellt die Obrigkeit fest. Ihre Bescheinigung von e. N. erweitert die Verfügungsmacht des Betroffenen. Er kann etwa ohne Zustimmung seiner Erben Erbgut verkaufen oder verpfänden; die Witwe kann eine Sache, an der sie nur ein Leibgedinge hat, veräußern. Als Notlage, die ein an sich rechtswidriges Handeln entschuldigen kann, gelten etwa: Armut insbesondere von Witwen und Waisen, Krankheit, drückende Schuldenlast, Gefangenschaft, im Detail auch Wassernot, Verlust des Reisepferdes, Feuersbrunst etc. E. N. kann insbesondere durch Erbfall entstehen: Der Erblasser hat keine Vorsorge getroffen, dass aus seinem Nachlass alle seine Schulden beglichen werden, die offenen gehen somit auf den (die) Erben über, jedoch reicht jenes Nachlassvermögen, über das die Erben frei verfügen können, in der Regel Fahrnis, nicht aus, um damit diese Schulden abzudecken. Hier entsteht seitens der Erben das Bedürfnis, von der Obrigkeit die Feststellung zu begehren, dass nachgelassene Schulden „Echte-Not-Schulden“ sind, womit es dem (den) Erben ermöglicht wird, auch anderes Nachlassvermögen zur Schuldentilgung heranziehen zu dürfen, etwa das an sich unveräußerliche Erbgut (vgl. stadtherrliche Verfügung 1350 XII 26 = J. A. Tomaschek, Die Rechte und Freiheiten der Stadt Wien I (1877) XLII). Auf diese Weise erhalten die Schuldner einen Vorrang vor den Erben, was der Stadtrat 1369 mit der allgemeinen Rechtsregel begründet: „wander ain jeglich gelter nachster erb ist seiner geltschulde“ (Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II,3, 446). / Lit.: V. Hasenöhrl, Österreichisches Landesrecht im 13. und 14. Jh. (1867) 143 f.; A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts II (1886) 550; H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 2. Aufl. (1928) 447 ff.; Fälle bei Heusler I (1885) 59; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. (1930) 560; R. Schröder – E. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. (1932) 91, 578, 788, 824.
Einantwortung / E. bezeichnet die obrigkeitliche Übertragung von Rechten an Personen oder an Sachen in die Rechtsmacht einer bestimmten Person. „Eingeantwortet“ wird das Mündel mit seinem Vermögen dem Vormund, der Nachlass bzw. ein Nachlassteil dem bzw. einem der Erben. Unter E. wird somit nicht die Überantwortung nur eines einzelnen Rechtes verstanden, sondern die eines Bündels an Rechten und Pflichten, die obrigkeitliche Einweisung in eine umfassende Rechtsposition, also eine Universalsukzession (s. Geschäft). Eingeantwortet wird nicht das Erziehungsrecht an einer Person oder das Pfandrecht an einer Sache, sondern das Mündel mit allen ihm zustehenden Vermögenswerten, Rechten und Pflichten in die umfassende Rechts- und Pflichtenmacht des Vormundes, ebenso wie der Nachlass(teil) mit all seinen Aktiven und Passiven in die Rechts- und Pflichtenmacht des (eines) Erben. Im letztgenannten Sinne gehört der Terminus E. auch der modernen österreichischen Rechtssprache an. / Lit.: J. Unger, Die Verlassenschaftsabhandlung in Österreich (1862) 42 ff., 150, 153 ff.; C. Chorinsky, Das Notariat und die Verlassenschaftsabhandlung in Österreich (1877) 57 f., 64 ff.; A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts II (1886) 562 ff. (streitige Fälle); R. Schröder – E. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. (1932) 825. (Vgl. ausdrücklich Wr. Stadtordnung 1526 „Gerhaben“ = Tomaschek II, 156).
Erbteilung „mit“ bzw. „ohne“ Verzicht / Geht ein Nachlass auf mehrere Erben zu gleichen Anteilen über, bilden diese eine Erbengemeinschaft, wie insbesondere Geschwister nach dem Tod eines Elternteils. Zur Auseinandersetzung bietet die (Gewohnheits-)Rechtsordnung zwei Möglichkeiten an, eine schwächere, die „Teilung ohne Verzicht“, sowie eine stärkere, die „Teilung mit Verzicht“. In der Regel ergreifen die Miterben die Initiative zur Teilung, sei es, dass sie eine solche vereinbaren (vgl. Nr. 91) oder von der Obrigkeit erwirken (vgl. Nr. 166). Allerdings kann die Teilung und ihre Art auch der Erblasser „mit Geschäft“ anordnen (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 87). Im Zweifel gilt eine Teilung als eine solche „ohne Verzicht“ (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 87). Beide Formen sind solche der Realteilung.
A. „Teilung ohne Verzicht“ / Hier zeitigt die ehemalige Bindung in der Erbengemeinschaft eine fortdauernde Wirkung, deren Ziel es ist, den nunmehr abgetrennten Vermögensteil nicht in fremde Hände geraten zu lassen. So kann auch nach der Teilung nur mit Zustimmung der Teiler als ehemalige Miterben über den abgetrennten Vermögensteil verfügt werden; bei Tod eines der Teiler fällt sein Vermögensteil an seine ehemaligen Miterben oder deren direkte Nachkommen (Wiener Stadtrechtsbuch Art. 87). Diese Bindung löst sich erst mit der Geburt eines Nachkommens eines der Teiler, allerdings nur für diesen: Das neue Familienband ist stärker als das bisherige, zu seinen Gunsten erlöschen die Wirkungen des älteren. Der bekinderte Teiler kann – im Gegensatz zum weiterhin unbekinderten – über seinen abgetrennten Vermögensteil ohne Zustimmung der übrigen Teiler verfügen (benötigt aber nun die seines Erben!); bei seinem Tod fällt er nicht primär an die anderen Teiler, sondern an seine Nachkommen oder wem er sie (mit Zustimmung seiner Erben) vermacht hat (Österreichisches Landrecht Art. 20).
B. „Teilung mit Verzicht“ / Sie lässt die Bindungen der nunmehr aufgelösten Erbengemeinschaft völlig erlöschen: Jeder Teiler kann seinen Vermögensteil „geben, wem er will, es sei seinen Geschwistern lieb oder leid“ (Steiermärkisches Landrechtsbuch Art. 165), er erhält im Verhältnis zu den übrigen Teilern (nicht etwa gegenüber seinen Erben) freie Verfügungsmacht. Es handelt sich somit um eine Teilung „mit Verzicht der Miterben auf jegliche weitere Rechte aus der aufgelösten Erbengemeinschaft untereinander“. Die Folgen, die bei einer Erbteilung „ohne Verzicht“ für einen Teiler erst mit der Geburt eines Erben eintreten, greifen hier schon mit der Teilung und für alle Teiler Platz. Diese Art der Teilung muss eigens bedungen werden; sie ist allerdings die häufigere von beiden Arten. / Lit: V. Hasenöhrl, Österreichisches Landesrecht im 13. und 14. Jh. (1867) 136, 142 f.; zu einzelnen Fällen W. Brauneder, Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich (1973) 297 f., 350; H. Demelius, Eheliches Güterrecht im spätmittelalterlicchhen Wien (1970) 28 f.; H. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts I (1885) 227 ff., über die „T. mit V.“ („Watschar“) 241 f.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. (1930) 164 f., 749 ff.
Geloben „zu allem Gut“ / Das Wort „(ge)loben“ bringt in Verbindung mit Rechtsgeschäften Verpflichtungen verschiedenster Art zum Ausdruck. Das Gelöbnis bezweckt die Sicherung einer künftigen Leistung und verpflichtet damit den Gelobenden zu einem bestimmten Verhalten. Zu den typischen Gelöbnis-Fällen des mittelalterlichen Rechtslebens zählt auch das G. „zu allem Gut“. Durch publizitätswirksam abgegebenes Versprechen, etwa mit Eintragung im Stadtbuch (Nr. 629), setzt der zu einer bestimmten Leistung verpflichtete Schuldner sein gesamtes, auch künftiges Vermögen als Haftungsobjekt dem unbeschränkten Zugriff des Gläubigers aus. Ein solches Gewährleistungsversprechen zieht für den Schuldner bloá eine Verfügungsbeschränkung über sein Vermögen (Arrest, Sperre) nach sich, es begründet jedoch kein Pfandrecht im Sinn eines dinglichen Rechts und auch keine persönliche neben einer allenfalls bereits bestehenden Vermögenshaftung. Der Gläubiger erwirbt dadurch aber das Recht, bei Eintritt des Gewährleistungsfalls Gegenstände des Schuldnervermögens zu pfänden. Sein Zugriffsrecht erfaát allerdings nicht bloá bestimmte einzelne Sachen des Schuldnervermögens, er kann unter diesen beliebige wählen. Dadurch erlangt er eine Rechtsstellung, als ob er die Schuld gegen den Schuldner bereits eingeklagt und durch Urteil, das ihn zur Zwangsvollstreckung berechtigt, zugesprochen erhalten hätte. Mit der unbeschränkten Bindung des Schuldnervermögens und der damit verbundenen Beseitigung des Spezialitätsprinzips des mittelalterlichen Grundpfandrechts bereitet das G. „zu allem Gut“ den Boden für die Rezeption des römischrechtlichen Generalpfandrechts in der Neuzeit. / Lit.: W. Brauneder, Die Entwickung des Ehegüterrechts in Österreich (1973) 185 ff.; H. Mitteis – H. Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Aufl. (1982) 114; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. (1930) 411 f., 475, 481.
Gemächt / Mit dem Rechtswort G. wird im mittelalterlichen Rechtsleben vielerlei bezeichnet. Es überwiegt in seiner umgangssprachlichen Bedeutung der Zusammenhang mit „machen“ im Sinn von „vermachen“ und damit die Gleichsetzung mit einer letztwilligen Verfügung. In seiner ursprünglichen Erscheinungsform wird als G. aber nicht ein einseitiges Rechtsgeschäft bezeichnet, das einen Rechtsanspruch von Todes wegen schafft, sondern ein zweiseitiges, unter Lebenden vereinbartes Rechtsgeschäft über bestimmte Vermögensverhältnisse von Ehegatten. Auch nachträglichen G., die erst nach Vortod eines Gatten schriftlich fixiert werden, liegt zumeist eine noch vor Eheschlieáung getroffene mündliche Vereinbarung zugrunde (vgl. Nr. 998) Als G. bezeichnete Rechtsgeschäfte fallen unter die Kategorie sachenrechtlicher Verfügungen. Sie haben zumeist die gegenseitige Vereinbarung von Heiratsgaben zum Inhalt oder zielen – gelegentlich in Verbindung auch damit – auf eine allgemeine Vermögensgemeinschaft ab. Vermögenszuwendungen unter Lebenden werden in der spätmittelalterlichen Rechtssprache Wiens mit „(ver)machen“, erbrechtliche dagegen mit „(ver)schaffen“ umschrieben. Sachenrechtliche Verfügungen der Ehegatten tragen die Bezeichnung G., letztwillige dagegen „Geschäft“. Bei G. handelt es sich somit nicht um gegenseitige letztwillige Verfügungen der Ehegatten, sie stehen gelegentlich aber in Zusammenhang mit solchen. Im Zweifel ist jedoch ein gegenseitiges „Geschäft“ von Ehegatten „auf Überleben“ oder ein „Geschäft und Gemächt“ (Nr. 998) als Erbvertrag zu qualifizieren. Den Übergang dazu stellen G. dar, welche auf eine Vermögensgemeinschaft abzielen, da sie, wie der Erbvertrag, die Ehegatten bereits zu Lebzeiten an Verfügungen hindern. Eine nachträgliche Disposition über ein G. durch „Geschäft“ (Nr. 751) bzw. Widerruf eines G. seitens des Überlebenden ist bei beerbter Ehe zufolge der Verfangenschaftsrechte der Erben unzulässig. / Lit.: H. Demelius, Eheliches Güterrecht im spätmittelalterlichen Wien (1973) 67 ff.; ders., Erhart Haidem, Richter zu Perchtoldsdorf bei Wien, und die landesfürstlichen Grundbücher 1431-1523 (1974) 135 ff.; W. Brauneder, Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich (1973) 331 ff.; Th. Mayer-Maly, Ein Wiener Ehegutsprozeá aus der Rezeptionszeit, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 11 (1954) 39 ff.; H. Lentze, Das Wiener Testamentsrecht des Mittelalters, in: ZRG, GA 70 (1953) 210ff.
Gesamthandvermögen / siehe: Miteigentum „zur gesamten Hand“ und „auf Überleben“.
Geschäft / Dies ist der zeitgenössische Ausdruck für letztwillige Verfügungen, die gemäß dem Wesen des heimisch-deutschen Erbrechts primär nicht von der Person des Erben, sondern der Beschaffenheit des Nachlasses geprägt sind. Wie jedes Vermögen bildet dieser rechtlich keine einheitliche Masse, sondern setzt sich aus einzelnen Teilen von unterschiedlicher Rechtsnatur zusammen, z. B. Liegenschaft – Fahrnis; Erbgut – Kaufgut. Geprägt von dieser Auffassung zielt das G. darauf ab, das Schicksal jeder Nachlassmasse oder auch einzelner Nachlassgegenstände festzulegen. Bei umfangreichem und uneinheitlichem Vermögen kann es daher mehrere Erben in jeweils einzelne Nachlassteile geben (Spezialsukzession). Damit steht das G. im Gegensatz zum Testament des römisch-gemeinen Rechts, dessen Zweck darin liegt, eine Person(enmehrheit) als Erben zu benennen, um dieser den ungeteilten Nachlass zurechnen zu können (Generalsukzession). Wie hier der einheitliche Nachlass geht aufgrund eines Geschäftes der entsprechende Nachlassteil mit seinen Aktiven und Passiven auf den Erben über, und zwar zu einem einheitlichen Zeitpunkt, dem Erbanfall (Universalsukzession). Daneben finden sich oft weitere Bedachte, denen aus dem Nachlass ein bestimmter Gegenstand oder eine bestimmte Geldsumme zukommt, ohne damit für Schulden haften zu müssen (Singularsukzession); sie sind den Legataren (Vermächtnisnehmer) des römisch-gemeinen Rechtes vergleichbar. Den Kreis der möglichen Erben bestimmt in erster Linie die Blutsverwandtschaft; insoweit besteht kein grundsätzlicher Unterschied zur gewohnheitsrechtlichen Erbfolgeordnung, die nur Blutsverwandte berücksichtigt. Im Unterschied zu dieser erweitern die G. den Kreis der Erben jedoch in der Regel um den überlebenden Ehegatten. Als typisch erbrechtliches Rechtsgeschäft zeitigt das G. zu Lebzeiten des Erblassers keine vermögensrechtlichen Wirkungen: Er kann über sein Vermögen wie bisher verfügen. Als einseitiges Rechtsgeschäft ist das G. jederzeit widerrufbar. Damit steht es insbesondere im Gegensatz zum „Gemächt“, dem Ehepakt (Ehe-, Heiratsvertrag). Dieses ist ein gegenseitiges Rechtsgeschäft. Es ist einseitig nicht widerrufbar und erzeugt schon zu Lebzeiten der Vertragspartner vermögensrechtliche Wirkungen und Bindungen. / Lit.; A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts II (1886) 635 ff.; R. Schröder – E. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Auflage (1932) 825 f.
Geschäft, Typen / Die Eintragungen enthalten mehrere G.-Typen. Hiebei sind zwei Hauptgruppen zu unterscheiden, nämlich mündlich vorgebrachte G. (M) sowie schriftlich eingereichte G. (S). Jede Hauptgruppe umfasst im wesentlichen drei nach diplomatischen Kriterien bestimmbare G.-Typen (a-c), allerdings auch Sonderformen (hier nur M oder S). Bei den schriftlich eingereichten G. begegnen auch bloße Abschriften, die sich daher nicht den eben beschriebenen Typen zuordnen lassen (nur S). Die Unterteilung in die Typen a – c folgt der Klassifikation F. Walters, der sie jedoch nur bei mündlich vorgebrachten G. verwendet (A-C: Walter, Testamentenbücher 16, 21 ff.), nicht aber bei den schriftlich eingereichten G. (nach Walter D: ebd. 23), obwohl er auch hier unterscheidet (ebd. 23 f.). Das Verhältnis der hier getroffenen Klassifikation zu jener von F. Walter bestimmt sich daher wie folgt: M (allein), S (allein), Ma = A, Sa, Mb = B, Sb = D, Mc = C, Sc.
Geschäft Typ a / Hier erscheint ein „Einbringer“ mit zwei oder mehreren Zeugen vor dem Stadtrat und gibt entweder ein mündlich errichtetes G. zu Protokoll (Ma) oder legt mit den Zeugen ein schriftlich errichtetes G. vor (Sa). Die Zeugen bekräftigen das Vorbringen des Einbringers mit einem Schwur an Eides statt, der gegen Ende des G. vermerkt wird.
Geschäft Typ b / Er entspricht vollkommen dem Typ a mit dem Unterschied, dass einer der Zeugen als „Einbringer“ fungiert (Mb bzw. Sb); wie beim Typ a steht die Eidesformel am Schluss des G.
Geschäft Typ c / Er entspricht dem Typ b, doch ist die Eidesformel sogleich zu Beginn des G. vermerkt (Mc bzw. Sc).
Messstiftung / Stiftungen sind selbständige Vermögensmassen, die, von einem „Stifter“ bereitgestellt, dazu dienen, dass ihre Erträge für einen vom Stifter bestimmten Zweck verwendet werden. M. dienen der Abhaltung von Seelenmessen für den Stifter an bestimmten Altären aufgrund von Vermögenszuwendungen an Klöster oder durch die Dotierung eigener (Welt-)Priesterstellen (letzteres sog. „Altarpfründe“).
A. Bei M. an Klosterkirchen erhält das Kloster das Stiftungsvermögen, es lässt die Messen durch einen Konventualen lesen und bestimmt damit selbst über die Stiftung.
B. Bei Altarpfründen sind mehrere Formen zu unterscheiden (siehe im Detail D. Pleimes und H. Lentze), wovon in Wien zwei eine Rolle spielen:
1. Lohnpriesterstellenstiftung: Sie gleicht im Wesentlichen der Form A, woraus folgt, dass der weltliche Einfluss in der Regel gering bleibt, außer es handelt sich um derartige Priesterstellen von Zechen (=Zünften) oder in Spitälern.
2. Patronats- und Lehenspfründe: Der Zweck dieser beiden Varianten einer Grundform liegt in der Aufrechterhaltung eines maßgeblichen (weltlichen) Einflusses der Nachkommen des Stifters oder von ihm benannter Personen auf die Stiftung. Dies wird primär dadurch erzielt, dass das Stiftungsvermögen nicht in das (Treuhand-)Eigentum der Kirche übergeht, sondern selbständiges Vermögensobjekt bleibt, für das ein sogenannter Lehensträger bestellt wird. Seine spezielle Rechtsmacht über die Stiftung wird als „Lehenschaft“ bezeichnet. Ausfluss der Lehenschaft ist vor allem das Recht auf Bestellung (Kollation) des Messpriesters (Kaplan) und seine Kontrolle, insbesondere auch jene über die Vermögensverwaltung, die meist dem jeweiligen Kaplan obliegt. Gegenüber den Patronatspfründen, die patronatsrechtsähnliche Ausgestaltung aufweisen, unterliegen die Lehenspfründe stärker dem weltlichen Zugriff: Hier zählt zum Recht der Lehenschaft auch die Absetzung des Kaplans ohne kirchliche Mitwirkung. – Die Lehenschaft kann einer oder mehreren physischen oder juristischen Personen zustehen; sie ist unter Lebenden übertragbar, auch auf Zeit, vererblich und insbesondere Gegenstand letztwilliger Verfügungen. / Lit.: D. Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht (Forschungen zum Deutschen Recht III,3) 1938; H. Lentze, Die Rechtsform der Altarpfründe im mittelalterlichhen Wien, in: ZRG, KA 68 (1951) 222 ff.
Miteigentum „zur gesamten Hand“ und „auf Überleben“
A. Miteigentum „zur gesamten Hand“ / Die Wendung „zur gesamten Hand“ soll dartun, dass eine Rechtshandlung von mehreren Personen gemeinsam gesetzt wird mit der Folge, dass ein Recht gemeinsam erworben (z. B. Kauf) oder ein gemeinsames Recht gemeinsam begeben wird (z. B. Verkauf). Durch gemeinsamen Erwerb (auch unter anderem Etikett als „zur gesamten Hand“) entsteht eine Rechtsgemeinschaft: gemeinsames Leibgedinge, gemeinsames Forderungsrecht, insbesondere Miteigentum. Bei M. „zur gesamten Hand“ steht jedem Miteigentümer ein Anteil (Quote) am Eigentumsobjekt zu. Über dieses wie auch über den Anteil können nun alle Miteigentümer gemeinsam („zur gesamten Hand“) verfügen. Nur in einem Fall ist eine alleinige Verfügung eines Miteigentümers über seinen Anteil möglich, nämlich dann, wenn er diesen einem anderen Miteigentümer zuwendet, sei es zu Lebzeiten oder für den Fall seines Vortodes. Dies bzw. die gemeinsame Verfügung über den Anteil verstehen sich aus dem gleichen Grundgedanken: Während im ersteren Fall die Miteigentümergemeinschaft keine Veränderung durch eine Neuaufnahme erfährt, der Kreis der Miteigentümer sich nur verringert, bedeutet die Veräußerung des Anteils an einen Dritten eine Veränderung der Miteigentümergemeinschaft. Daher ist hier die Zustimmung aller Miteigentümer erforderlich. Außer in diesen Fällen zeigt sich die Existenz der Quoten vor allem bei Ableben eines Miteigentümers. Sein Anteil fällt nun an seine Erben, die an seine Stelle treten, wobei auch auf diese Weise der Kreis der Miteigentümer verändert wird. M. „zur gesamten Hand“ begegnet an häufigsten zwischen Ehegatten. Unter ihnen erfährt es noch eine weitere, besondere Ausgestaltung. Die Begründung derartigen Miteigentums führt nicht nur zu einer Rechtsgemeinschaft unter Lebenden, es tritt vielmehr eine bestimmte Todfallsfolge ein: Bei Vortod eines Ehegatten fällt zwar sein Anteil an seine Erben, dem überlebenden Ehegatten steht jedoch hieran ein Nutzungsrecht zu; den Erben verbleibt das Recht auf „Wartung“. Der überlebende Ehegatte nutzt somit das gesamte Miteigentumsobjekt, nämlich seinen Anteil kraft seines Miteigentums, den des vorverstorbenen Ehegatten kraft des dieser Miteigentumsform immanenten Nutzungsrechts (vgl. Nr. 255).
B. Miteigentum „auf Überleben“ / Diese Miteigentumsform tritt im Spätmittelalter allmählich neben die erstgenannte Form (A), und zwar so gut wie ausschließlich unter Ehegatten. Der Unterschied zur älteren Form besteht allein in der Todfallsfolge: Der Anteil des vorverstorbenen Ehegatten fällt an den Überlebenden, er wächst diesem an (sogenannte Akkreszenz), womit er zum Alleineigentümer wird. Diese Rechtsfolge wird anfänglich umschrieben (z. B. 1385: „welichs under in das ander uberlebt, (soll) dasselb haus furbas ledichleich haben“: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien II,3, 4131), gegen Ende des Mittelalters steht die Kurzformel „auf Überleben“. Es ist festzuhalten, dass beide Miteigentumsformen Anteile kennen; hierin besteht ein Unterschied zum sogenannten „Gesamthandeigentum“ der Lehrbücher des „Deutschen Privatrechts“. Ihm kommt bei eben diesem Unterschied die Miteigentumsform „auf Überleben“ zufolge des Akkreszenz noch am nächsten. Ein anteilsloses Miteigentum ist dem spätmittelalterlichen Rechtsleben Wiens jedoch fremd. Mit der Existenz von Quoten scheinen beide Miteigentumsformen dem Quoteneigentum des Römischen Rechts zu entsprechen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass nach Römischem Recht jeder Miteigentümer über seine Quote frei, d. h. allein, verfügen kann. Darin manifestiert sich, im Gegensatz zu unseren beiden Formen, ein ganz anderer Grundgedanke, nämlich der einer freien Austauschbarkeit der Miteigentümer. Im übrigen kennt das römischrechtliche Quoteneigentum keine Rechte der überlebenden Miteigentümer an der Quote eines vorverstorbenen – weder Nutzungsrecht (A) noch Akkreszenz (B) -, diese fällt in das (Mit-)Eigentum der Erben. / Lit.: A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts I (1885) 223 ff.; R. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. (1930) 249 ff., 735, 751. Zu Österreich mit Fällen W. Brauneder, Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich (1973) 237 ff., 296 ff., 301 f.
Verwandtschaftsweisung / Sie dient – wie auch anderswo unter anderem Namen: Nächstzeugnis, Sippebrief – der Offenlegung und dem Beweis von Verwandtschaftsverhältnissen. In manchen Fällen ist sie auf ein Geschäft bezogen, in den meisten jedoch nicht. Hier liegt die Vermutung nahe, die V. diene mangels Vorliegen eines Geschäftes der Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund der gewohnheitsrechtlichen Erbfolgeordnung, die auf der Blutsverwandtschaft beruht. So ersetzt die V. in diesen Fällen in gewisser Weise ein fehlendes Geschäft.
Volljährigkeitsweisung / Eine V. dient der publizitätswirksamen Bescheinigung der Tatsache, dass eine Person die Mündigkeit und damit grundsätzlich volle Geschäftsfähigkeit erlangt hat. Das Stadtbuch gebraucht dafür meist die formelhafte Umschreibung, dass eine Person zu „vollen“ / „völligen“ / „bescheidenen“ Jahren gekommen bzw. seltener, dass sie „mündig“ geworden sei (Teil 4/Eintrag Nr. 2178), „Bescheidenheit“ (Teil 1/Eintrag Nr. 178) oder „vernüftige“ Jahre erlangt (Teil 1/Eintrag Nr. 65) habe. Das Stadtbuch gebraucht in der Regel die Formel „Beweis“ / „Beweisung“ / „Weisung“ der „Jahre“ (z.B. Teil 1/Eintrag Nr. 11; Teil 2/Nr. 793; Teil 3/Eintrag Nr. 1582; Eintrag Nr. 2422), fallweise modifiziert als „seiner völligen Jahre“ (z.B. Teil 3/Eintrag Nr. 1391) oder „seiner bescheidenen Jahre“ (z.B. Teil 3/Eintrag Nr. 1168), selten als „seiner vogtbaren Jahre“ (Eintrag Nr. 2443).
Als Termin für die Erreichung dieses Status sehen die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts für Wien geltenden heimischen Rechtsordnungen (das österreichische Landrecht sowie das Wiener Stadtrecht) – ohne Differenzierung nach Geschlecht – allgemein ein Alter von 18 Jahren vor. Ausdrückliche Hinweise auf diese – im Rechtsleben von Wien schon seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestehende – Altersgrenze enthält das Stadtbuch regelmäßig erst ab etwa 1415 (z.B. Eintrag Nr. 2135) – eine einzige Eintragung früheren Datums liegt aus dem Jahr 1399 vor: Sie betrifft die Mitteilung einer Volljährigkeitsweisung durch den Rat von Korneuburg (Teil 1/Eintrag Nr. 410). Andere im Stadtbuch konstatierte Altersgrenzen sind: Die Erreichung des 19. Lebensjahres (Teil 1/Eintrag Nr. 41 aus 1399 – mitgeteilt in einer Volljährigkeitsweisung für einen Knaben aus Krumau in Südböhmen) und die Erreichung eines Lebensalters von 20 oder mehr Jahren (z.B. Eintrag Nr. 2192 bzw. 2486 – mitgeteilt in einer Volljährigkeitsweisung für einen Knaben aus dem bayerischen München bzw. für einen Knaben aus dem niederösterreichischen Wiener Neustadt).
Bis zur Erreichung der Vogtbarkeit sind minderjährige Personen nach heimischem Gewohnheitsrecht im allgemeinen beschränkt handlungsfähig – ihre Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte sind aber – zum Schutz der Minderjährigen vor Übervorteilung oder Übereilung – nur schwebend wirksam. Diese können ihre eigenen – sowie die von ihrem Vormund getätigten – Rechtsgeschäfte binnen bestimmter Frist nach erreichter Mündigkeit (Abschichtung aus dem Familienverband) widerrufen: Gemäß Wiener Stadtrecht des 14. und 15. Jahrhunderts war dieses Recht – bei sonstiger Verschweigung – für Knaben auf einen Zeitraum von 15 Jahren, bei Mädchen bis zu ihrer Verheiratung befristet. Mündig gewordene Personen konnten eigene Rechtsgeschäfte und solche eines Vormundes nach Erreichung der Mündigkeit auch ausdrücklich bestätigen. Dadurch werden die bloß schwebend wirksamen Rechtsgeschäfte unwiderruflich. Zur Sicherung der Gläubiger bei Verfügungsgeschäften des Vormundes gegen die Gefahr der Eviktion durch das volljährig gewordene Mündel werden im Rechtsleben fallweise Pfandrechte bestellt (siehe Rechtshistorisches Glossar zu Teil 2, 11: Ebenteuer).
Die Erreichung des Mündigkeitsalters entfaltet ihre volle Wirkung – die in den Rechtsquellen sog. „Vogtbarkeit“ – allerdings nur bei unter Vormundschaft stehenden oder vaterlosen Minderjährigen; die Handlungsfähigkeit bleibt aber trotz Erreichung dieser Altersgrenze beschränkt: bei Söhnen, solange sie unter der Hausgewalt des Vaters stehen, und bei Töchtern bis zu ihrer Verheiratung bzw. einem Klostereintritt – in Wien erlangen unverheiratete Frauen den Status der Vogtbarkeit auch mit Erreichung des 50. Lebensjahres. Um die Erwirkung der Eintragung einer Bescheinigung über den Status der erreichten Vogtbarkeit im Stadtbuch bemühen sich daher im Rechtsleben von Wien nur mündig gewordene Waisenknaben: Sie kommen in der Regel zur Beweisführung mit zwei Zeugen vor den Rat. / Lit.: HRG, 1. Auflage, I (1971), 134–137 (H.-R. Hagemann, Alter), 1594 ff. (W. Ogris, Geschäftsfähigkeit), III (1984), 738–742 (W. Ogris, Mündigkeit); 2. Auflage, I (1. Lieferung 2004), 194 ff. (B. Kannowski, Altersstufen); Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Auflage, I (1968), 211 ff. (F. Geißler, Alter und Altersklassen); Lexikon des Mittelalters I (1980), 470 f. (W. Brauneder, Alter); grundlegend: G. Wesener, Stellung des Kindes im Recht der altösterreichischen Länder, in: Receuils du Societé Jean Bodin 36 (1976), 493 ff.
Willensvollstrecker / W. werden mit der Vollziehung einer letztwilligen Verfügung, eines Geschäftes (siehe oben) betraut. Aufgrund der Berufung („Empfehlung“) durch den Erblasser haben sie das von ihm dem Nachlass bestimmte Schicksal seinen Anordnungen gemäß „auszurichten“ (zu „vollführen“); W. werden daher als „Geschäftsherren“ bezeichnet. Als W. fungieren oft Einzelpersonen, häufiger mehrere, zumeist zwei Personen; ihre Zahl kann fallweise bis zu sieben betragen (Nr. 1338). Vielfach sind es Verwandte des Erblassers, zumeist entfernte, selten im Geschäft berufene Erben, bei geringfügigen Verlassenschaften auch der überlebende Ehegatte, nur vereinzelt die Witwe (Nr. 1315). Häufiger begegnen am Erbfall unbeteiligte, vertrauenswürdige Personen, etwa Nachbarn oder Dienstleute, sowie andere neutrale Personen wie Kleriker (meist Ordensgeistliche) oder Ratsangehörige, städtische oder landesfürstliche Beamte, nur ausnahmsweise juristische Personen, etwa die Schreiberzeche (Nr. 1340). Ausgeschlossen als W. sind außer Nichtbürgern grundsätzlich auch dem Geschäft als Zeugen beigezogene Personen; sie können dieses Amt nur aufgrund obrigkeitlicher Verleihung durch den Stadtrat ausüben (vgl. Nr. 1361). Die Berufung zum W. darf – außer bei ausdrücklicher Genehmigung des Erblassers – weder ausgeschlagen noch anderen Personen übertragen werden. Für den Fall der Verhinderung eines W. werden die übrigen oft zur Kooptation eines Ersatzmannes ermächtigt (Nr. 1642) bzw. sogar verpflichtet (Nr. 1353). Der W. hat sein Amt grundsätzlich unentgeltlich auszuüben, gelegentlich wird ihm vom Erblasser eine Belohnung ausgesetzt, zumeist Vermächtnisse, etwa eine Geldsumme (Nr. 1318) oder der Überschuss des Nachlasses, fallweise Liegenschaften (Nr. 1342). Das Amt des W. umfasst die gesamte Abwicklung des Nachlasses. Es ist eine Konsequenz der dem heimischen Recht unbekannten General- und Universalsukzession, greift daher auch nur soweit Platz, als Nachlassvermögen gewohnheitsrechtlicher Erbfolge nicht vorbehalten oder durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden eine Rechtsnachfolge bereits vorweggenommen ist. Dem W. obliegt die vorläufige Verwaltung des Nachlasses, er hat die Auseinandersetzung unter den Erben und die Befriedigung der sonst am Nachlass Anspruchsberechtigten (Gläubiger, Vermächtnisnehmer) sowie die Ausführung der vom Erblasser angeordneten Seelgeräte zu bewirken. Der W. muss alle zur Ausführung der Anordnungen des Erblassers erforderlichen Rechtshandlungen setzen (vgl. Nr. 1301): Er hat dazu den Nachlass in Besitz zu nehmen, soweit erforderlich, diesen auch gerichtlich zu vertreten (Nr. 1797), um das Geschäft des Erblassers gegen Klagen und Anfechtungen zu verteidigen. Gelegentlich wird der W. auch als Vormund für vom Erblasser hinterlassene minderjährige Kinder oder als Sachwalter für andere von ihm letztwillig bedachte Pflegebefohlene bestellt (Nr. 1413). Der W. ist zufolge seiner Ermächtigung zur Liquidation des Nachlasses Träger einer selbständigen, inhaltlich – durch die Anordnungen des Erblassers und die von ihm festgelegten Richtlinien – beschränkten Rechtsmacht; sie stellt eine Art Verwaltungstreuhand dar und wird formelhaft als „Macht und Gewalt“ umschrieben. Der Erblasser kann die Rechtsmacht des W. ausdrücklich zu einer eigentümergleichen Verfügungsmacht steigern: zu „voller Gewalt und Recht“ (Nr. 1354) bzw. „ganzer Macht“ (Nr. 1606). Der W. kann dadurch ermächtigt sein, die Verfügungen des Erblassers dem Gewohnheitsrecht gemäß zu ergänzen, sie allenfalls auch abzuändern, etwa falls das Nachlassvermögen zur Befriedigung von Anspruchsberechtigten nicht zureichen sollte. Aufgrund seiner Rechtsmacht sind unter Umständen auch treuwidrig gesetzte Handlungen des W. rechtswirksam, er kann in diesem Fall aber für Schadenersatz belangt werden. Dem Missbrauch von W. versucht die Obrigkeit durch Aufsicht und Kontrolle zu steuern; es besteht – sofern vom Erblasser nicht ausdrücklich ausgenommen – eine Rechenschaftspflicht dem Stadtrat gegenüber (Nr. 1357), dieser wird gelegentlich auch selbst zur W. berufen (vgl. Nr. 1360), vereinzelt sogar der Landesfürst als Stadtherr (Nr. 1338). In diesen Ansätzen obrigkeitlicher Nachlassvollstreckung kündigt sich – in Verbindung mit parallelen Entwicklungen im Bereich geistlicher Jurisdiktion sowie im Rahmen der Universitätsgerichtsbarkeit – bereits die allgemeine Einrichtung des gerichtlichen Verlassenschaftsverfahrens in der Neuzeit an. / Lit.: O. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts V (1885) 266 ff.; A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts II (1886) 652 ff.; D. Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht. Geschichte der Rechtsformen (1938) 188 ff.; H. Lentze, Das Wiener Testamentsrecht des Mittelalters, in: ZRG, GA 70 (1953) 195 ff.; H. Demelius, Aus dem Stadtbuch von Mautern an der Donau (1432-1550). Ein Beitrag zur österreichischen Privatrechtsgeschichte (1972) 74 ff., 86 ff.