Stoffkreisläufe gelten als DAS Mittel nachhaltigen Wirtschaftens, da auf diese Weise Müll vermieden und Ressourcen geschont werden können. Dennoch ist im Vergleich zu Stoffkreisläufen in Ökosystemen in der Wirtschaft noch viel “Luft nach oben”. Diese Aussage betrifft nicht nur die Etablierung derartiger Recycling-Systeme, sondern auch die Frage, wie viele Kreisläufe bestimmte Stoffe durchlaufen können und wie hoch dabei der Energieaufwand ist.
Im katholischen Milieu sind hingegen derartige “Kreisläufe” für Objekte im Kontext des Wallfahrtswesens seit Jahrhunderten etabliert. Ein derartiger Fall sind die sogenannten “Fraisensteine” vom niederösterreichischen Gnadenort Sonntagberg (Bezirk Amstetten). “Fraisensteine” sind zwei bis zehn Zentimeter große, ovale Keramikobjekte, die vom frühen 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert im Auftrag des Stifts Seitenstetten als Betreiber des Wallfahrtsortes hergestellt wurden. Der Überlieferung nach wurden in die Tonmasse Partikel des sogenannten “Zeichensteins” eingearbeitet, der neben dem Gnadenbild der Heiligen Dreifaltigkeit als zweites “Heiltum” verehrt wurde/wird. Zusätzlich wurde das Gnadenbild an der Vorderseite eingeprägt. Somit war der “Fraisenstein” sowohl durch die Kopie des wundertätigen Bildes als auch physisch durch die eingearbeiteten Partikel mit den Heiltümern am Sonntagberg verbunden.
Wer seine Wallfahrt auf den Sonntagberg unternahm, konnte dort nicht nur dem Gnadenbild sein Ansuchen vortragen, sondern auch einen “Fraisenstein” zur Mitnahme erbitten. Ein solcher konnte sich im Krankheits- oder Verletzungsfall nämlich – so berichten die überlieferten Mirakelberichte – als äußerst nützlich erweisen. Vergleichbar mit den Schabmadonnen aus Einsiedeln (Schweiz) konnte Pulver vom Stein abgekratzt und wie Medizin eingenommen werden. Auch das Trinken von Wasser, in welches der Stein zuvor eingelegt worden war, war eine beliebte Maßnahme gegen allerlei gesundheitliche Probleme. Gelegentlich ist auch das Auflegen der “Fraisensteine” auf schmerzende Stellen des Körpers überliefert. Zusätzlich zum Gebrauch des Steins waren Pilgernde dazu angehalten, sich – voller Vertrauen, wie stets betont wird – an die Heilige Dreifaltigkeit zu wenden und im Fall der Heilung die Nachricht davon zu verbreiten; ganz gemäß Tobit 12,22: Und sie verkündeten überall, welch große und wunderbare Dinge Gott getan hatte […].
Im Stiftsarchiv Seitenstetten sind zahlreiche Briefe an den Schatzmeister am Sonntagberg überliefert, in denen Gläubige von der ihnen widerfahrenen Gnade und dem Gebrauch des “Fraisensteins” berichten. Oft waren diesen Berichten als Dank auch Opfergaben für die Heilige Dreifaltigkeit beigegeben – nicht selten der gebrauchte “Fraisenstein” selbst (Abb. 1), in Silber oder Gold gefasst. Art und Anzahl dieser Objekte sind zumeist im Bericht vermerkt und noch heute kann die eindrucksvolle Schatzkammer voll mit Zeugnissen für solche Gebetserhörungen besichtigt werden (Abb. 2). Fraisensteine finden sich darunter entgegen der Überlieferung durch die Mirakelberichte kaum – weder mit einer Fassung aus edlem Metall, noch bloße Exemplare. Wir können nur vermuten, welcher Grund hinter diesem Missverhältnis von schriftlicher und materieller Überlieferung steckt: Die Pilgernden waren zahlreich, der Stein dementsprechend nachgefragt. Um den Bedarf zu decken, wurden “gebrauchte” Fraisensteine erneut an Gläubige ausgegeben und der Kreislauf begann von vorn.
Im Gegensatz zum heutigen Recycling verloren die “Fraisensteine” somit nicht ihr heilsbringendes Potenzial – im Gegenteil: Gerade die bezeugte Wirkmacht machte sie für einen weiteren “heilsamen” Kreislauf attraktiv.
Thomas Kühtreiber & Sabine Miesgang