Was hier auf den ersten Blick wie eine in trockenem Schlamm erstarrte Tierspur aussieht, ist der gestempelte Dekor an der Rückseite einer Keramikfigur im museumkrems. Dieses Stadtmuseum – der „Nachbar“ des IMAREAL – weist eine bemerkenswerte Fülle an realienkundlich hochinteressanten Exponaten auf. Dazu zählt auch dieses eigenartige, wenngleich nur fragmentarisch erhaltene Keramikobjekt.
Ein Gießgefäß in „Judengestalt“
Es handelt sich um ein fragmentarisch erhaltenes Gießgefäß in Tiergestalt, aber mit menschlichem Kopf und Händen: Die Figur hält einen röhrenförmigen Ausguss in den Händen, der Ansatz eines Henkels ist noch an der Bruchstelle im oberen Rückenbereich zu erkennen. Während der – erhaltene – Körper mit stümpfchenartigen Beinen nur sehr schematisch ausgeformt ist, hat der Töpfer der Gestaltung des Kopfes mehr Aufmerksamkeit gewidmet: Augen und Nase wurden aus der Tonmasse geformt, die Augen aus zwei Tonringen vorgefertigt und anschließend appliziert, Augenbrauen und Haare mittels Einstichen bzw. durch Gravur angedeutet. Die senkrecht fallenden Haare laufen in einer Nackenrolle aus, auf der sich die eingangs erwähnten Eindrücke befinden. Diese halblange Frisur ist typisch für den so genannten „Manesse-Stil“ der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, benannt nach den Illuminationen der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). Das Auffälligste ist aber sicherlich der Spitzhut am Haupt der Keramikfigur, der diese als Kopf eines Juden auszeichnet. Ursprünglich in bildlichen Darstellungen allgemein für Menschen aus dem Orient eingesetzt, wird dieses Bilddetail ab dem 12. Jahrhundert immer mehr auf die Auszeichnung von jüdischen Personen in Bildern eingegrenzt.
Aquamanilien – figürliche Gießgefäße zum rituellen Händewaschen
Das Objekt gehört zu den sogenannten „Aquamanilien“, die – wie der Name schon verrät – zur Reinigung der Hände dienten: lateinisch aqua – Wasser, lateinisch manus – Hand. Auf antiken Vorbildern figürlicher Weinschenkgefäße (Rhyta) beruhend, vermittelten islamische Kulturräume die Verwendung derartiger Objekte in das christliche Westeuropa. Hier sind diese seit dem frühen 12. Jahrhundert zunächst als reich dekorierte Messingobjekte überliefert. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts sind im süddeutschen Sprachraum auch Gießgefäße aus Keramik belegt, wobei neben klassischen Aquamanilien auch Kannen mit Ausgüssen in Tierkopfform auftreten. Die Verknüpfung von Informationen aus kirchlichen Schatzkammerinventaren mit Messordnungen erlaubt eine Zuordnung zumindest vieler metallener Gießgefäße als rituelle Handwaschgefäße vor bzw. im Zuge des Gottesdienstes. Die Tatsache, dass die keramischen Aquamanilien vor allem aus Burgen und Städten stammen, legt den Schluss nahe, dass diese auch bei anderen rituellen Reinigungen, wie beispielsweise vor oder nach dem gemeinsamen Mahl verwendet wurden. In dieser Funktion wurden sie ab dem 15./16. Jahrhundert durch fest montierte Wasserkästen abgelöst.
Lasterallegorien auf Aquamanilien
Metallene wie auch keramische Aquamanilien weisen eine große Vielfalt an figürlichen Motiven auf, die von Reiter*innenfiguren über Tiere, wie Löwen, Hirsche und Widder bis hin zu Fabelwesen, wie Drachen, Kentauren, Basilisken oder Sirenen reicht. In Verbindung mit dem Element „Wasser“ bilden mittelalterliche Naturlehren und theologische Schriften insbesondere für die Tier- und Fabelwesen die Grundlage zur christlichen Ausdeutung als Tugend- und Lasterallegorien, wobei unter den in Aquamanilien repräsentierten Lebewesen die Verbindung mit Lastern eindeutig überwiegen. Im Reinigungsritual sollten die dabei involvierten Menschen somit über die in den Gießgefäßen repräsentierten Tugenden und Laster ihr eigenes Leben vor Gott reflektieren. Sie dienten also als „Spiegel des Heils“, in der die äußerliche Reinigung gleichzeitig auch einen entsprechenden innerlichen Akt ermöglichen sollte.
Warum „Juden“ als Reinigungsobjekte?
Bei den keramischen Aquamanilien und Kannen herrschen Tiere, wie Widder / Ziegenböcke, Schweine, Hunde und Hasen vor. Diese wurden vor allem mit Gefräßigkeit und sexueller Zügellosigkeit – mit den Lastern „Völlerei“ (gula) und „Wollust“ (luxuria) gleichgesetzt – in Verbindung gebracht. Wenig überraschend sind es genau jene Tiere, die auch zur Herabwürdigung Angehöriger anderer Religionen sowohl von Christen, als auch von Juden und Muslimen herangezogen wurden, um den jeweils anderen ethische Unreinheit zu unterstellen. Dass Christen Juden auf diese Weise negativ konnotierten, dafür sind Aquamanilien ein eindrückliches Beispiel: Auf einem Drachenaquamanile aus dem frühen 13. Jahrhundert, heute im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg aufbewahrt, befindet sich unter anderem eine kleine nackte Figur mit Judenhut, die mit der rechten Hand in obszöner Weise das männliche Glied hält. Somit ist wohl auch der steil aufragende Ausguss am Judenaquamanile aus Krems als entsprechend sexuelle Konnotation und die Figur selbst als Allegorie der „Wollust“ zu interpretieren. Hinzu kommt, dass es sich um ein Mischwesen – halb Tier, halb Mensch, ähnlich einem Kentauren – handelt: Dem „Juden“ wird hier sinnbildlich das Mensch-Sein abgesprochen.
Damit kommen wir zum Schluss nochmals auf die seltsamen Abdrücke am Hinterhaupt zu sprechen: Sie imitieren Abdrücke eines Paarhufers, deren Gestaltanalogie in der Natur auch als „Teufelstritte“ aufgrund des „Bockfußes“ Satans gedeutet wird. Wenn also der Teufel quasi selbst der Figur seinen „Stempel“ aufgedrückt hat, ist die negative Konnotation auch für die Person, die das Gießgefäß hält und es somit von hinten sieht, mehr als evident.
Sollten Sie sich mehr für das Objekt interessieren, hier ein Literaturtipp:
Thomas Kühtreiber, Das Unreine diene zur Reinigung. Ein spätmittelalterliches Gießgefäß in Form eines Juden aus Krems an der Donau, in: Astrid Peterle, Adina Seeger, Domagoj Akrap und Danielle Spera (Hg.), Unser Mittelalter! Die erste jüdische Gemeinde in Wien, Wien 2021, 90-97 u. 172.