Welches Bild entsteht vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie an einen mittelalterlichen Steinmetz denken? Das eines ausgelaugten Handwerkers, welcher auf der Baustelle oder in der Bauhütte Steinklötze bearbeitet und für seine mühevolle Arbeit schlecht oder gar nicht bezahlt wurde, geschweige denn Ruhm für sein Werk kassierte? Tatsächlich steht dieses weit verbreitete Bild in starkem Kontrast zu jenem, dass uns die überkommenen (Selbst-)Darstellungen der spätmittelalterlichen Steinmetz- und Baumeisterpersönlichkeiten vermitteln: Sie blicken uns selbstbewusst entgegen, halten ihre Werkzeuge stolz in ihren Händen und/oder präsentieren sich – wie der Nürnberger Bildhauer Adam Kraft († 1509) – als Stütze, ohne die das Werk nicht stehen, sprich existieren, könnte.

Am Beispiel des Grabdenkmals des Steinmetzes und Baumeisters Wolfgang Tenk (†1513), welches paradigmatisch für das glückliche Zusammenspiel meiner projektbezogenen Tätigkeit für REALonline und der Endphase meines Dissertationsprojektes zu den Object Links zwischen den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ausstattungsstücken der Stadtpfarrkirche in Steyrer – an welcher sich das Grabmal befindet – steht, lässt sich wunderbar aufzeigen, dass die im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert lebenden Vertreter (ja es waren lediglich Männer!) der Steinmetzgilde aufgrund ihrer durch Ordnungen, Statuten und Zeremonien formierten Exklusivität ein hohes Ansehen innerhalb der Gesellschaft genossen.
Wolfgang Tenk trat den Quellen zufolge erstmals 1475 als Steinmetz in Admont auf. Als der am Bau der Steyrer Pfarrkirche tätige Mert Kranschach die Stadt im Jahr 1483 aufgrund der Veruntreuung von Baugeldern verlassen musste, rückte der mittlerweile zum Meister aufgestiegene und der Admonter Steinmetzbruderschaft (fälschlicherweise oft als Admonter Bauhütte bezeichnet!) vorstehende Tenk als paumaister […] hie pei dieser ckirchen – wie die Inschrift auf seinem Epitaph unmissverständlich betont – nach.
Die Bezeichnung als Baumeister verhalf dem Steinmetz zu einem postmortalem Ikonenstatus. So verstand es die Lokalforschung des 19. Jahrhunderts, ihn als historische „Persönlichkeit“ für das Narrativ der eigenen Stadtgeschichte zu nutzen und entsprechend zu inszenieren: sein am Außenbau angebrachtes Grabdenkmal wanderte ins Kircheninnere ab und wurde in seiner Anbringungshöhe um exakt so viel verändert, dass man Tenk heute direkt ins Gesicht sehen kann, beziehungsweise – je nachdem wie man es nimmt – sogar muss.

Wie erfolgreich diese Neuinszenierung war, belegt die Forschungstradition. Sämtliche Texte setzen Tenk als Person in Szene und lassen jene fünf Personen links liegen, denen Tenk sich ehrfürchtig unterordnet: den ans Kreuz geschlagenen Christus und die vier gekrönten Märtyrer (lat. Quatuor coronati), die Tenk mit Zirkel, Steinmeißel, Flächenhammer und Reißbrett ausgestattet als Schutzpatrone der Steinmetze und berufliche Vorgänger (man beachte die stammbaumartigen Blütenknospen!) protegieren.
Das Zusammenspiel von Stifter, Heiligen und Gekreuzigtem war bei gemeißelten wie gemalten Grabmälern des 15. und 16. Jahrhunderts keine Seltenheit. Gibt man das Schlagwort „Gekreuzigter“ in der Volltextsuche und „Grabmal, Gedächtnismal“ im Thesaurus zu Objektarten (Werke) in REALonline ein, so erhält man einige Beispiele mit unter dem Kruzifix knieenden Stiftern.[1] Auch begleitende Heilige sind auf dem ein oder anderem Suchergebnis zu finden.

Die 13 Treffer verdeutlichen: Das Tenk-Epitaph ist zwar von den vor 1500 entstandenen Objekten desselben Bildtypus (der zweite und dritte Datensatz in der ersten Reihe!) geprägt, entspricht durch seine räumliche Gleichstellung der Stifter- und Heiligenfiguren aber bereits den weitausaus jüngeren Exemplaren. Im Gegensatz zu den stark verkleinerten und/oder in abgesonderten Bildräumen verorteten Stifterfiguren der älteren Werke kniet Tenk immerhin direkt unter dem gleichgroßen Kreuz. Diese Nähe zwischen Stifter und Kruzifix entspricht der zeitlichen Entwicklung und wurde durch die Einfügung eines vermittelnden Gebetsspruches ermöglicht, mithilfe dessen sich der fromme Gläubige den Heiland wortwörtlich verbildlicht.
Wie sich am Beispiel des Tenk-Epitaphs nachzeichnen lässt, wurden die Gebetstexte in der Regel aus gängigen theologischen Texten entlehnt. So stammt das hier verwendete amor me(us) crucifix(us) e(st), zu Deutsch: Meine Liebe ist gekreuzigt, aus Ignatius von Antiochiens Brief an die Römer (Kap. 7,2). Passenderweise rücken seine Worte das Kruzifix als Schlüssel für das Erlösungswerk Jesu Christi ins Zentrum, dem wir lediglich durch die Kreuzigung unserer Liebe zur irdischen Welt näherkommen können. Die nun auch in REALonline vermerkte Inschrift hält also unmissverständlich fest, was Tenk bereit war für sein Seelenheil zu opfern und was auch wir als potenziell angesprochene Betrachter*innen opfern sollen.

Neben der Optimierung der Objektdaten des Tenk-Epitaphs war eine der Hauptaufgaben im vergangenen Monat auf Architektur und Gebäude bezogene Begriffe der Beschreibungsdaten in REALonline zu überarbeiten und zu evaluieren, wo eine Anreicherung mit Verweisen auf Normdaten aus dem Arts and Architecture Thesaurus (AAT) und dem Klassifikationssystem für Bildinhalte ICONCLASS sinnvoll ist. Darunter fielen unter anderem Begriffe, die auch für eine Beschreibung des ursprünglichen Anbringungsortes des vorher genannten Grabdenkmals am nördlichen Treppenhaus der Steyrer Stadtpfarrkirche anwendbar wären wie etwa Treppenhaus, Anbau und Fenster.
Die Optimierung der Objektdaten des Tenk-Epitaphs ermöglicht ab sofort auch komplexere Abfragen über die angebotene Expert*innensuche in REALonline, wie z.B. die Frage Wie oft sind ähnlich dem Tenk-Epitaph zwei oder mehrere Wappen auf einem Objekt dargestellt?
match (a:Objekt)-[g:child|:entity|:description*]-(b:Work)
where 'Wappen' in a.name
with b, count (a) as Wappen
where Wappen >= 2
with b
match (b:Work)-[h:entry|:thesaurus|:broader*]->(c:Thesaurus {ThesaurusId: 'objektart'})
return b,c,h
Die angeführte Abfrage führt zum Ergebnis, dass zwei oder mehrere Wappen auf zahlreichen Objektarten – wie Tafelbildern, Grabplatten und Epitaphien – anzutreffen sind. Von den 346 Treffern, zeigen die meisten Suchergebnisse Allianzwappen mehrerer Familien und nur wenige – wie das Grabmal des Mondseer Abtes Jodok Sedelmayr – ein dem Tenk-Epitaph ähnliches Nebeneinander von einem individuellen Zeichen (Familienwappen oder Hausmarke) und einem heraldischen Emblem, das einer übergeordneten Gemeinschaft zuzuordnen ist: im Falle von Tenk das Wappen der Admonter Steinmetzbruderschaft und im Falle von Jodok Sedelmayer jenes des Stiftes Mondsee. Dennoch konnten über die Suche 8 Vergleichsbeispiele ausfindig gemacht werden, welche mittels einer gewöhnlichen Literaturrecherche nur schwer oder gar nicht ausfindig gemacht hätten werden können und meine Recherche zum Tenk-Epitaph ideal abrunden konnten.

Sophie Morawitz
Die Kunsthistorikerin Sophie Morawitz forscht zur Architektur- und Mediengeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts und ist zudem im Bereich der Bauforschung tätig. Im Rahmen der projektbezogenen Tätigkeit für REALonline hat sie ihre umfassenden Kenntnisse historischer Architekturen – darunter auch ihre Untersuchungen zur Stadtpfarrkirche Steyr und deren Ausstattung – eingebracht und mit den Mitarbeiter*innen am IMAREAL diskutiert.
[1] Eine Abfrage mit „Kreuzigung Christi“ und „Kruzifixus“ aus dem Bildthementhesaurus kombiniert mit der Kategorie „Grabmal, Gedächtnismal“ aus dem Thesaurus zu „Objektarten (Werke)“ ergibt eine Übersicht über alle in REALonline erfassten Werke mit diesen Bildinhalten.