„Lesen ist Abenteuer im Kopf“ – dieses und ähnliche Zitate kommen wohl vielen Menschen in den Sinn, wenn es um Bücher geht. Dass dem Lesen in der Frühen Neuzeit auch eine ganz andere Wirkung zugesprochen werden konnte, zeigt uns ein Dankschreiben von der Wallfahrt zur hl. Dreifaltigkeit am Sonntagberg (heute: Bezirk Amstetten).
Am 25. Mai 1759 entschließt sich Jakob Praunauer aus der Ortschaft Roggendorf in der Nähe von Melk dazu, ein Dankschreiben zu verfassen. Der Empfänger des Dankes ist die hl. Dreifaltigkeit am Sonntagberg – und stellvertretend der Schatzmeister ebendort (heute befindet sich das Schreiben im Stiftsarchiv Seitenstetten). Mit ihrer Hilfe sei Praunauer, wie er im Dankesbrief beschreibt, von seinem Augennebel befreit worden. Nicht nach einem Verlöbnis und einer damit verbundenen Wallfahrt, wie man vielleicht auf den ersten Blick vermuten würde; auch nicht durch ein inbrünstiges Gebet oder ein Amulett aus der geistlichen Hausapotheke. Nein, Vermittler der göttlichen Gnade war ein kleines, unscheinbares, gedrucktes Büchlein.
Gedruckte Mirakelbücher sind eine Quellengattung, die in Niederösterreich ganz typisch für die Frühe Neuzeit waren. Die Landschaft war geprägt von Wallfahrtsorten. Manche sind im Lauf der Zeit abgekommen, andere – etwa Maria Taferl oder Maria Dreieichen – sind noch heute ein Begriff. Wallfahrtsorte, so propagierten es die Wallfahrtsbetreiber, seien Orte, an denen die Gnade Gottes besonders präsent sei. Dies äußere sich etwa in Form von Heilung, die Kranke und Verletzte dort finden könnten. Gemäß dem Buch Tobit, Kapitel 12 sei es nun gleichsam die Pflicht der Gläubigen, die ihnen widerfahrene Gnade zu berichten.
Solche Berichte über Gebetserhörungen waren natürlich eine gute Werbung für einen Wallfahrtsort. Von daher verwundert es nicht, dass Berichte über wundersame Heilungen von den Geistlichen vor Ort gesammelt, kompiliert, kontextualisiert und gedruckt wurden. Neben den Berichten, der erzählerischen Rahmung (etwa in Form der Gründungslegende) und der kirchenrechtlichen Legitimation (in Form der erwerbbaren Ablässe) enthielten solche Büchlein auch Kupferstiche der Wallfahrtskirche und des Gnadenbilds. Diese Büchlein dienten Gläubigen zur Erbauung, aber auch als Andenken. Ebenso konnten solche Bücher eine Erwartungshaltung an eine zukünftige Wallfahrt wecken.
Jakob Praunauer hat in einem solchen Büchlein gelesen, als – wie er beschreibt – der trübe Nebel durch die Strahlen der hl. Dreifaltigkeit von seinen Augen vertrieben worden sei. Leider erfahren wir aus seinem Bericht nicht mehr darüber, wie, wann und wo gelesen wurde. Wir erfahren nicht, ob er das Büchlein immer bei sich trug oder wo und wie er es aufbewahrt hat. Wir erfahren aber, warum er sich dazu entschieden hat, Zeugnis abzulegen: Zu grösseren Vertrauen und Aufmunterung aller Catholischen Christen habe ich dieses geschrieben. Er war sich des medialen Kreislaufes bewusst: Auch sein Bericht würde vielleicht gesammelt, kompiliert, gedruckt und verbreitet werden – und vielleicht Pilgernde zu einer Reise auf den Sonntagberg anregen.