Tiere und Pilze 1: Insekten
Mücken, Fliegen, Wanzen – und ein Kater
Die erste Erwähnung von Fliegenpilzen findet sich bei Albertus Magnus (13. Jh.). Er beschreibt ihn als “sofort tötend” und nennt ihn fungus muscarum, weil er, wenn man ihn in Milch gibt, Fliegen töte. Noch heute lautet die lat. Pilzbezeichnung, die auf die Anwendung als (vermeintliches) Insektizid zurückgeht, Amanita muscaria. Auch Konrad von Megenberg weiß im Buch der Natur (14. Jh.) von dieser Methode: Wenn man den zü milch mischet, so töttet er di mukken zehant. Dar vmb haizzent si mukken swämm vnd ze latein mufcineci. Die Bezeichnung “Mückenschwamm” hält sich bis in die Frühe Neuzeit; erstmals im 17. Jh. ist der Pilz auch als Fleugenschwam bezeugt. So schreibt etwa noch Hans Sachs im 16. Jh.: Du [Fliege] wirst von bürgern und von edeln | Außtrieben mit den muckenwedeln | mit platschen und den muckenschwammen. Weitere heute geläufige Alternativnamen sind Mückenpfeffer und Fliegenteufel.
Auch im Krünitz werden Fliegen mit Mückenschwämmen getötet. “Diese fallen sehr begierig darauf, und platzen in wenig Augenblicken”, heißt es dort sogar. Bang! Einen frisch zerstoßenen Fliegenpilz solle man zudem abgedeckt stehen lassen, bis er zu stinkendem Brei wird, und dann mit einem Pinsel in Hausritzen schmieren, damit keine Wanzen eindringen mögen – was vielleicht sogar stimmt, weil Stinkwanzen geruchsempfindlich sind. Allerdings stinkt jeder Pilz, wenn er sich zersetzt. (Die leidvolle Erinnerung an einen unter den Autositz gerollten Steinpilz möge an dieser Stelle für ein multidimensionales Geruchserlebnis sorgen.)
Doch auch, wenn es Gelehrte wieder und wieder voneinander abgeschrieben haben, wird das Gschichtl nicht wahrer. Fliegen sterben nicht an dem Gift des Fliegenpilzes, wer es nicht glaubt, kann es gerne selbst versuchen. Sie werden lediglich betäubt und fliegen später – vielleicht mit ordentlichem Kater – wieder weiter. Verkatert sind wahrscheinlich auch jene, die in angelsächsischen Königreichen im 9. Jahrhundert (Assassin’s Creed: Valhalla) Fliegenpilze konsumieren, daraufhin Tore herbei halluzinieren und diese durchschreiten, um dort Rätsel zu lösen.
Ameisen
Ein schönes Beispiel für besser recherchierte Naturbilder in der mittelalterlichen Literatur liefert die Schlachtszene auf Floristelle im Jüngeren Titurel Albrechts von Scharfenberg: der schoz, die kunden sliefen noch durkel baz dann ameiz durch die morchen. (Die Geschosse schlüpften durch jede Lücke – noch besser als Ameisen durch Morcheln.)
Zumindest die obszön aussehende Stinkmorchel, zu Recht Phallus impudicus genannt, wird damit aber nicht gemeint gewesen sein. Quellen besagen nämlich, dass Soldaten-, Riesen-, Feuerameisen und Ameisenköniginnen einen herausragenden Geruchsinn haben und diese deshalb gut entdecken können. In denselben Quellen zu Drachen und Verliesen (Dungeons & Dragons) ist auch bezeugt, dass sie zumindest zum Teil giftige Stiche verteilen können – womit sich der thematische Kreis zum Fliegenpilz-Gift schließt.
Tiere und Pilze 2: Amphibien
Tiere und Pilze 2: Amphibien
Kröten und Frösche
Die engl. Bezeichnung toadstool (ME todestole) verweist auf die enge Verflechtung von Amphibien und ungenießbaren Hut- oder Ständerpilzen. Auch im Deutschen hat sich für Fliegenpilze die Bezeichnung “Krötenstuhl” erhalten. Der in manchen US-englischen Dialekten geläufige Terminus frogstool zeigt sich in der jap. Rezeption eines europ. Medievalism: In einer märchenhaften Welt, in der es um das Bauen und den Kampf gegen einen Drachenfürsten geht, ist dieser frogstool ein Giftpilz, der nur an „bösen Orten oder Sümpfen“ gedeiht. Er kann jedoch frittiert werden und als nahrhafte Mahlzeit dienen (Dragon Quest Builders) oder zu einem Antidot (Dragon Quest Builders 2) verarbeitet werden. Welches Schnitzel kann schon von sich behaupten, Gift und Gegengift zu sein?
Eine ähnliche etymologische Entwicklung zeigt sich im Niederländischen: Mnl. poddenstōl bzw. nl. paddenstoel (padde= Kröte) ist seit dem 15. Jh. überliefert. Im Etymologisch Woordenboek wird das Lemma auf eine schwarzmagische Konnotation zurückgeführt: “Der Pilz wurde im Mittelalter in Westeuropa mit Hexerei in Verbindung gebracht. pad basiert auf dem teuflischen Ruf der Kröte: Dem Tier werden verschiedene böse Eigenschaften zugeschrieben. Veraltete Bezeichnungen sind paddenbrood (Krötenbrot) und paddenhoed (Krötenhut); […] im Plattdeutschen gibt es Poggenstohl, mit Pogg ‘Frosch’.” Besagte pejorative Bedeutung mag – wiewohl das Woordenboek ohne Belege verbleibt – schlüssig sein, immerhin sind Krötendarstellungen auch in weiteren Text-und-Bild-Kontexten eng mit Teufel und Totenreich verbunden.
In der Unterwelt der Drachen und Verliese (Dungeons & Dragons) ist laut Augenzeug*innen auch der swarming toadstool zu finden. Unzählige kleine Pilze mit „kränklich grüner oder gelblicher“ Farbe sprießen im sogenannten Unterreich. Das “Jahr der vielen Pilze” (238 nach Taliser Zeitrechnung), Pilze als wichtige Lichtquelle in den kilometertiefen Kavernen des Unterreichs und eine Bestie namens toadstool zeugen ebenfalls von der Wichtigkeit des Krötenstuhls. Das Monster ist mehr als 3m breit und lang, sieht aus wie eine von Fliegenpilzen befallene Riesenkröte, die auch noch telepathische Fähigkeiten sowie – natürlich – giftige Haut hat. Wer schon in dieser Unterwelt wandern gehen möchte, sollte den toadstools nicht zu nahe kommen, denn ihr Atem stößt giftige Sporen aus.
Salamander
Salamander sind motivgeschichtlich ähnlich stark aufgeladen. Vormittelalterliche Gelehrte beschreiben sie als Elementarwesen, die im Feuer leben und stark giftig seien. Spätere Autoren greifen diese Vorstellung auf. So etwa Konrad von Megenberg: Sie lebt in dem fevr vnd stirbt da von niht vnd erlescht auch daz fevr, sam Augustinus, Adelinus vnd Ysidorus sprechent. […] Y[.] spricht, daz chainerlay tier so schaedleich sey mit seinr vergift. Noch Paracelsus vertrat im 16. Jh. diese Annahme.
Nimmt man jedoch in den Reichen der Drachen und Verliese Salamandermilch zu sich, ist Magiekundigen klar, dass Anwender*innen dadurch resistenter gegen Feuer werden. Etwas größere Echsen, die Wyvern, ungefähr 3m lange Drachen, haben ebenfalls die Eigenschaft, die den Salamandern noch von Paracelsus nachgesagt wurde. Ihr Stachel injiziert eines der gefährlichsten Gifte ohne bekanntes Antidot. Der Konnex von Giftsalamander und Giftpilz ist auch bildgeschichtlich belegt.
Peter Färberböck & Katharina Zeppezauer-Wachauer