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Sensing Materiality and Virtuality

Gibt es eine Virtualität avant la lettre? Und wie wüsste man im Mittelalter über sie zu denken?

1. Theoretisch

Grundlegend (hier: aristotelisch) meint Virtualität (Virtuality) ein ›Vermögen‹ (›dynamis‹), das zwar nicht zur Tat (›energia‹) kommt ‒ aber dennoch Auswirkungen auf die Realität hat. Das Virtuelle ist nicht physisch vorhanden, aber durchaus real ›wirkend‹ (im doppelten Wortsinn von ›erscheinend‹ und ›bewirkend‹). Es ist nicht materiell, aber dennoch real ‒ letzteres Unterscheidet es von der Fiktion. Real wirkt das Virtuelle, weil es als Potenzialität auf seine Aktualisierung verweist und eben in diesem Verweis ›wirkt‹.

Das Spiegelbild mag hier Paradigma sein: Es ist ein Oberflächeneffekt, der durch tatsächliche kausale Wechselwirkungen auf materieller Ebene erzeugt wird. Das Virtuelle entfaltet sich nicht ›mittels‹, sondern ›am‹ Materiellen (Materiality). Und dennoch hat die Betrachtung des Spiegelbilds häufig äußerst reale Effekte, weil wir es am sich spiegelnden Körper aktualisieren.

Das geplante Projekt untersucht mit einem primären Fokus auf den deutschsprachigen Jenseitsreisen des Hoch- und Spätmittelalters diese Denkform des Virtuellen und ihre Wechselwirkung mit der Materialität und Sensualität von Körper und Welt. In diesem systematischen Vorhaben verschränkt es sich mit mehreren Projekten am IMAREAL, die anhand mittelalterlicher Kunstwerke oder Objekte vergleichbare Wechselwirkungen beobachten und Hinweise darauf geben, dass das Virtuelle nicht erst mit der Postmoderne in die Welt trat.

Das gleiche gilt für den sensuellen Reiz (Sensing), der bei einer virtuellen Reizung zwar real stattfindet, doch eben nicht durch das Material, sondern durch dessen Simulation. Natürlich denkt man bei dieser sensuellen Reizung spontan an Virtual Reality und die passende Brille, die eine Teilhabe an selbiger ermöglicht. Im Projekt wird es jedoch darum gehen, das Sensing vom konkreten technischen Medium zu lösen und so historisch bzw. systematisch auszuloten. Und zwar bis hinein in die Hölle.

2. Konkret

In der mittelalterlichen Gattung der Jenseitsreisen ist die Hölle nicht als materiell konzipiert, aber sie ›wirkt‹ dennoch real. Ihr räumlicher Status ist der eines physikalisch Unmöglichen, sie ist unendlich und wird dennoch durch die Wahrnehmung des Reisenden als endlich vermessen. Dieser Reisende selbst hat in der Regel eine Doppelkörperlichkeit: Einerseits bleibt sein Körper scheintot auf Erden, andererseits wandert seine Seele als Avatar durch den jenseitigen Raum. Dies führt zum paradoxalen Zustand des Seelenkörpers, den die meisten Jenseitsreisenden genauso wie die im Jenseits Befindlichen annehmen: Sie sind zwar ›Schatten‹, können aber trotzdem in Aktionen treten, ›als ob‹ sie körperlich wären. Auch der Körper ist somit ein virtueller, ein Avatar, der lediglich das Vermögen des Korporalen besitzt (z.B. im Schmerzempfinden), nicht jedoch dessen Materialität.