Aus welchen Materialien sind eigentlich die Objekte, die in der Bibel genannt werden? Nur in bestimmten Zusammenhängen wird diese Frage vom Bibeltext selbst thematisiert. Salomos Thron ist ein solches Beispiel: „Ferner ließ der König einen großen Thron aus Elfenbein anfertigen und mit purem Gold überziehen.“ (2 Chr 9,17, zit. nach der Einheitsübersetzung; Vulgata: „fecit quoque rex solium eburneum grande et vestivit illud auro mundissimo“).
Während die in der Bibelstelle in weiterer Folge genannten Löwen auf den Stufen des Throns vor allem im Zusammenhang mit der Darstellung von Maria als Thron Salomonis eine bedeutende Rolle spielen (zur Maria als Thron Salomonis vgl. den Artikel von Landkammer, Tarcsay und Zorko in MEMO 2) und auch in Bildern des Ehrensitzes in Bezug auf Salomo selbst die vermutlich wichtigsten visuellen Marker darstellen, ist in der Bildtradition die Materialität – also das mit Gold überzogen sein des Thrones oder sein elfenbeinener Kern – eher als zusätzliches Erkennungsmerkmal zu werten.
In den Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld (Stiftsbibliothek Lilienfeld, Cod. 151, entstanden ca. 1355) – einer Handschrift, die heute zum Weltdokumentenerbe zählt – finden wir auf Folio 192v eine Darstellung des Throns von Salomo (Abb. 1).
Anstelle der in der Bibel genannten sechs Stufen sind hier drei Zonen des Sitzes wiedergegeben. Abwechselnd in grün und rot gehalten werden sie von je vier nicht kolorierten Löwen eingenommen. Von Gold ist an der Stelle im Text, der die typologischen Konkordanzen neben den Bildern erklärt, keine Rede mehr. Der thronus eburneus, wie er auch in der Bildüberschrift bezeichnet wird, dient hier über sein Material als Anknüpfungspunkt für die „Beständigkeit des Glaubens im reinen und heiligen Wandel der Kirche“ und als Sinnbild für die auf dem „Fundament der Keuschheit“ errichtete Kirche (dt. Übersetzung zitiert nach Douteil 2010 [1]).
Auf den ersten Blick ist in der Miniatur das Elfenbein als Material des Thrones nicht in den Vordergrund gerückt. Ein anderes Bild ergibt sich vielleicht, wenn man Werke aus Elfenbein mit erhaltener originaler Farbfassung aus der Zeit heranzieht, wie etwa das Diptychon aus dem Kölner Raum, heute im Cleveland Museum of Art (Abb. 2).
Fragen von Polychromie bei Elfenbeinarbeiten der Zeit sind – wie Marian Bleeke [2] in einem aufschlussreichen Aufsatz darlegt – in der Forschungsgeschichte aus unterschiedlichen Gründen kaum behandelt worden.[3] Manches weist aber darauf hin, dass Figuren und andere Darstellungselemente ohne oder mit wenig Fassung viel öfter gegen farbig bemalte Hintergründe abgesetzt wurden, als dies dem heutigen, meist vollständig materialsichtigen Zustand der Elfenbeinarbeiten nach zu schließen wäre. Mit dem Diptychon in Cleveland im Hinterkopf könnte man die Löwen der Throndarstellung in der Lilienfelder Handschrift auch als nicht kolorierten Teil einer Elfenbein-Schnitzarbeit lesen. Vielleicht ist diese Miniatur sogar ein Zeugnis dafür, dass erst die farbliche Fassung in Kombination mit den hellen Partien für die mittelalterlichen Betrachter*innen das Material Elfenbein als solches im Bild erkennbar machte.
Interessanterweise ist in den Concordantiae Caritatis im Stift Lilienfeld noch eine weitere Darstellung des Throns von Salomo zu finden (Abb. 3), die eine andere Materialität andeutet.
Bei den verschiedenen Gelb- und Brauntönen könnte die aufwendige Vergoldung gemeint sein, von der auch der Bibeltext berichtet. In einer reich illuminierten Version der Handschrift, die um 1460 entstanden ist, werden – vielleicht durch eine Fehlinterpretation der Farbigkeit im über hundert Jahre jüngeren Exemplar in Lilienfeld – daraus detailreich gearbeitete Holzmaserungen (Link zur Bildseite auf der Homepage der Pierpont Morgan Library).
Aber – wie Michael Ende sagen würde – das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden: Im Zusammenhang mit dem Projekt KIKI – Wie das Material ins Bild kam werden die Hintergründe von Holztexturen in visuellen Medien des Spätmittelalters in den Blick genommen.
[1] Douteil, Herbert: Die „Concordantiae caritatis“ des Ulrich von Lilienfeld: Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355). Bd. 1: Einführungen, Text und Übersetzung, hg. von Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt, Volker Honemann. Münster 2010.
[2] Bleeke, Marian: Ivory and Whiteness, in: Different Visions: New Perspectives on Medieval Art 6 (2020). https://doi.org/10.61302/HKNO8554.
[3] Zur Frage von Weiß in der mittelalterlichen polychromen Skulptur u.a. vor dem Hintergrund von Rezeptions- und Restaurierungskonzepten siehe: Sobieczky, Elisabeth: White in Medieval Sculpture Polychromy – Iconography, Reception, Restoration, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 82/3 (2019), 299–320, https://doi.org/10.1515/ZKG-2019-3002.