… einen bedeutenden Punkt markiert“. Dieser berühmte Satz aus dem Film „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ (Filmstart 1998) geht mir regelmäßig durch den Kopf, wenn ich das spätbarocke Gebäude, in dem sich mein Arbeitsplatz, das Institut für Realienkunde, befindet, betrete: Denn auf dem Auftritt – der Oberfläche – der obersten Stufe des Stiegenaufgangs zum Hochparterre befindet sich eine künstliche Marke aus zwei kurzen, überkreuzt verlaufenden Kerblinien. Mit der Benennung des sich daraus ergebenden Zeichens beginnt bereits Problem 1: Wie bezeichne ich das Objekt? Während sich Indiana Jones bei der Nennung – und in der weiteren Folge bei der Identifizierung des Zeichens „X“ relativ sicher war, ist es im Fall der Markierung im Kremser Stiegenhaus im wahrsten Sinne des Wortes „Ansichts-Sache“: Verändere ich meinen Standpunkt um 45 Grad, wird aus dem X ein Kreuz. Für die Interpretation als Kreuzzeichen spricht tatsächlich die vertikale Ausrichtung auf den Stufenverlauf.

„Zehn – das X markiert den Punkt“
Indiana Jones irrte sich hinsichtlich der Bedeutungslosigkeit von X-Zeichen jedenfalls grundlegend, sollte er doch entdecken, dass das monumentale X am Fußboden einer historischen Bibliothek in Venedig (tatsächlich die Kirche San Barnaba) auf den geheimen Zugang zu einem Katakombenkomplex verweist. Aber was be-zeichnet das Kreuz im Kremser Stiegenhaus? Eine Grundaussage der Semiotik ist, dass alles zum Zeichen werden und daher jedes Zeichen für eine unendliche Anzahl an Bedeutungen stehen kann. Es bedarf daher des Wissens um den Kontext, um die Interpretationsmöglichkeiten einzuschränken. Nähern wir uns daher nochmals der Stiege an: Sie bildet den untersten Abschnitt des Treppenhauses im sogenannten Bibliothekstrakt des Dominikanerklosters Krems, der seine barocke Gestalt im 17. Jahrhundert erhielt. Da sich unter der Treppe der hofseitig zugängliche Keller befindet, kann die Markierung für einen Geheimgang à la Indiana Jones ausgeschlossen werden (was ich als Archäologe natürlich außerordentlich bedaure!). Erstaunlicherweise befindet sich eine zweite, formgleiche Marke an der unteren Stufe zu einem der Kelleranlagen im selben Gebäude, weshalb ein Zufall ausgeschlossen werden kann. Um das Zeichen besser decodieren zu können, reicht dieses Muster nicht aus, wir müssen uns auf die Suche nach ähnlichen Markierungen an anderen Bauwerken machen.
Kreuzzeichen an Bauwerken

Kreuze sind im christlich geprägten Europa allgegenwärtig, weshalb eine Deutung der Stiegenmarke als christliches Symbol naheliegt. Allerdings reicht der Gebrauch von einfachen Kreuzeinritzungen religiöser Natur an Gebäudeoberflächen über oftmals enigmatische Felsritzbilder im Alpenraum bis hin zu Steinmetzzeichen, die von Steinmetzen im deutschsprachigen Raum seit dem 12. Jahrhundert wohl zur individuellen Abrechnung der Werkstücke angebracht wurden. Kreuzkerben wurden in vormoderner Zeit als Grenzmarkierungen an Bäumen und Felsen angebracht, und letztendlich sind Kreuze bis heute als trigonometrische Punkte an Vermessungssteinen in Gebrauch. Damit sind die Möglichkeiten des Gebrauchs von Kreuzmarken an Gebäuden keineswegs erschöpfend behandelt, aber sie spannen den Interpretationsbogen ohnehin schon sehr weit: vom (christlichen) Segens- und Bannzeichen bis hin zu profanen Herstellermarken und Orientierungspunkten.
Bannzeichen oder Vermessungspunkt?

Für eine Segens- und Bannmarke könnte der Anbringungsort an der jeweils letzten Stufe sprechen, die für das Betreten des nachfolgenden Raumes Schwellencharakter hat: (Tür-)schwellen sind Grenzzonen, an denen das Böse am Eindringen in das Haus gehindert werden sollte. Dementsprechend sind sogenannte „Bauopfer“ in Form von geopferten Lebewesen bzw. Amulette seit der Antike unter Türschwellen vergraben worden. Steinmetzzeichen aus dem Barock sind schlecht erforscht, aber auch auf Treppen überliefert. Die wenigen bekannten sind aber weitaus komplexer gestaltet als die beiden Kreuzmarken aus dem Kremser Dominikanerkloster. Außerdem spricht das Vorhandensein auf jeweils nur einer Stufe meines Erachtens eher gegen eine Herstellermarke. Verbleibt noch die Deutung als Vermessungspunkt: Tatsächlich werden Türschwellen von Kirchen gerne als Referenzen für die Angabe von Seehöhen in Topographischen Karten verwendet, wenngleich ansonsten eher die Turmknäufe für die Fernvermessung eine Rolle spielen. Damit sind wir am entscheidenden Punkt, nämlich der mangelnden Sichtbarkeit, befinden sich doch beide Kreuzmarken an – zumindest von außen – schlecht einsehbaren Stellen.
Sach-dienliche Hinweise erbeten!
Unter den hier aufgeführten Deutungsoptionen halte ich daher am ehesten jene als Segen- oder Bannzeichen für plausibel. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass auch diese mich nicht ganz überzeugt. Für sach-dienliche Hinweise, die entweder eine der hier angeführten Thesen stützen oder mich auf neue Ideen bringen, bin ich dankbar! Bis auf Weiteres wird mich die Kreuzmarke beim Eingang des Instituts daran erinnern, dass ihre Deutung eine ungelöste Denkaufgabe ist.