2024 fanden am Pfarrplatz in Krems an der Donau im Zuge der von Kanal- und Kabelleitungserneuerungen durch die Firma ASINOE GmbH archäologische Untersuchungen statt. Dabei konnten über 300 Bestattungen des ehemaligen Kremser Pfarrfriedhofs dokumentiert und geborgen werden. Vereinzelt wurden bei den Bestatteten auch Beigaben aufgefunden. Als besonderer Glücksfall erwies sich der Fund eines Anhängers mit einem quadratischen Rahmen aus Buntmetall (Messing?), der an der Vorderseite eine – heute zerbrochene – Glasscheibe aufweist. Hinter dieser ist eine kleine gedruckte Grafik in Form einer sogenannten Pietà zu erkennen: In einem Medaillonbild liegt der Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Christus im Schoß seiner Mutter Maria.
Doch worum handelt es sich aber bei diesem Anhänger? Derartige Objekte werden im süddeutsch-österreichischen Raum als ‚Breverl‘ bezeichnet. Das Wort leitet sich vom lateinischen brevis – kurz – ab, ist aber im Sinngehalt mit dem Brief verwandt. Als ‚Briefe‘ wurden im Mittelalter und in der Neuzeit aber nicht nur private und geschäftliche Korrespondenzen bezeichnet, sondern auch Rechtsdokumente wie Urkunden. Breverl sind somit im weitesten Sinne Briefe, die die Menschen mit Gott und Heiligen verbanden. Die Blütezeit ihrer Produktion war im 17./18. Jahrhundert, in diese Zeit dürfen wir auch unser Objekt und somit den Zeitraum der Grablege einordnen. Kommen wir aber zum Motiv zurück: Die Darstellung der Gottesmutter in einem Kegelmantel sowie die Krone auf dem Haupt des Verstorbenen verweisen darauf, dass es sich bei dieser Darstellung um ein Abbild eines Gnadenbildes einer Wallfahrtskirche handelt – aber um welches? An der überwiegenden Mehrzahl neuzeitlicher Wallfahrtsstätten in Mitteleuropa wurde die Gottesmutter Maria verehrt bzw. um ihre Fürbitte bei Gott angerufen. Angesichts der großen Konkurrenz unter den Gnadenstätten war jeder Ort bemüht, sich gegenüber den anderen hervorzuheben, sei es durch den Ausweis eines besonderen Gnadenreichtums, oder aber durch eine charakteristische Darstellung des Gnadenbildes. Gerade dies war jedoch besonders schwierig, da sich seit der Spätantike eine Typologie von Marienbildern etabliert hatte, die nur wenig Varianz erlaubte. Dazu zählt die Darstellung der ‚Schmerzhaften Mutter Gottes‘ in Form der sogenannten Pietà oder des Vesperbilds, wie es auch hier vorliegt. Allein im Herzogtum Österreich unter der Enns bzw. in dessen näherem Umfeld gab es mit Maria Taferl, Maria Dreieichen und Maria Schoßberg (Sasvár, Šaštín, heute Slowakei) drei große Wallfahrtsorte mit als gnadenspendend verehrten Vesperbildern, kleinere Orte, wie Maria Enzersdorf, kommen noch hinzu. Ein Beitrag von Walpurga Oppeker im MEMO-Sonderband „Wallfahrt und Regionalität in Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit“ widmet sich diesen Wallfahrtsorten im Spiegel von Flurdenkmälern.

Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich die ‚feinen Unterschiede‘ der Repräsentanz der ‚Schmerzhaften Mutter Gottes‘ in Gnadenbildern. So kann der Leichnam Christi aus Betrachter*innenperspektive nach links oder rechts gewendet liegen, der Oberkörper eher flach oder steil im Schoß Mariens situiert sein oder es können beide Arme oder nur ein Arm von Maria gehalten werden. Hinzu kommen noch Bekrönungen und Kegelmäntel, die jedoch nicht durchgängig als Motiv eines Gnadenbilds genutzt werden. Unter Anwendung dieser Details – hier flache Körperlage nach links und nach unten hängender, rechter Arm, gekrönter Christus und Umkleidung Mariens mit einem Kegelmantel – spricht einiges für eine Identifizierung des Motivs mit dem Wallfahrtsort Maria Schoßberg in der heutigen Nordwestslowakei, knapp hinter der heutigen österreichisch-slowakischen Grenze. Für die Zuordnung des Bildes spricht auch die Umschrift in slowakischer Sprache, die eine Übersetzung des auch in Latein geläufigen JESUS ET MARIA VOBIS COR CUM ANIMA MEA ist. Vergleichbare Bildanhänger wurden unter anderem auf dem Dorffriedhof von Klostermarienberg im Burgenland und am Michelberg bei Stockerau – einem ehemaligen Wallfahrtort! – gefunden.
Der Fund vom Michelberg weist darauf hin, dass es auch zwischen einzelnen Wallfahrtsorten Bezüge gibt: Sei es, dass die Ortsansässigen eines Gnadenorts selbst zu einem anderen pilgerten, sei es, dass Wallfahrende im Zuge einer Pilgerreise mehrere Wallfahrtsorte aufsuchten oder sei es, dass sich sogenannte ‚Filialwallfahrten‘ etablierten. Ein Beispiel hierfür ist der ehemalige Wallfahrtsort Pyhra bei St. Pölten, wo ein Andachtsbild mit der Darstellung der Pietà von Maria Taferl selbst zum Verehrungsziel wurde. Mit diesem Thema beschäftigt sich aktuell unter anderem das vom FWF finanzierte Forschungsprojekt SALVEMED – Salvation Economics and Media unter der Leitung von Werner Telesko (Österreichische Akademie der Wissenschaften), an dem das IMAREAL als nationaler Forschungspartner mitwirkt.
Damit kommen wir zu Krems zurück: Eine identische Kleingrafik – sowohl mit lateinischer, als auch mit slowakischer Umschrift – wurde 1974 gemeinsam mit einer größeren Anzahl weiterer Kleinreligiosa in einem Kupferbehälter im Turmknauf der Minoritenkirche in Stein an der Donau gefunden. Ein ebenfalls im Behälter aufgefundenes Beglaubigungsschreiben datiert die Niederlegung in das Jahr 1711. Celine Wawruschka identifizierte dieses Kleinbild in ihrem Blog Kramurium gemeinsam mit anderen als sogenannte ‚Schluckbildchen‘ – Objekte, die als Medizin gegen allerlei Krankheiten eingenommen wurden. Im Turmknauf sollten diese als Amulette im Verbund mit den anderen Objekten zum einen die Kirche selbst vor Unheil, wie Blitzschlag, bewahren, aber auch die gesamte Steiner Stadtgemeinde. Somit können wir also davon ausgehen, dass auch das Breverl vom Kremser Stadtfriedhof wohl nicht nur als Ausweis der Rechtgläubigkeit diente, sondern der sterbenden Person auch als Amulett auf dem Weg ins Jenseits mitgegeben wurde. Die erhoffte Heilswirkung dieser Grafiken lag zum einen im ‚wahrhaften Abbild‘ des jeweiligen Gnadenbildes. Das heißt, dass mit der Ähnlichkeit der Darstellung auch die Heilswirkung übertragen werden konnte. Darüber hinaus wurden derartige Kleingrafiken auch gerne am Gnadenbild ‚angerührt‘, um eine Kontaktkette des Heils vom Gnadenbild bis zur heilsuchenden Person zu ermöglichen. Damit verbunden war der Glaube, dass göttliche Gnade in ihrer Allmacht unteilbar ist und somit durch das Vervielfältigen des Urbildes kein Verlust in der potenziellen Heilswirkung erfolgt. Darauf beruht letztendlich auch der Erfolg von Filialwallfahrten, wie im bereits genannten Pyhra. Allzu eng sollte man aber die Frage der Ähnlichkeit von Ur- und Abbild jedoch nicht verstehen. So zeigt beispielsweise ein Votivbild zur ‚Pestmadonnna‘ aus der Wallfahrtskirche Heilig Kreuz in Donauwörth zwar eine Pietà, aber im Gegensatz zum Original den Corpus Christi mit hängendem rechten Arm statt zwei anliegenden Armen…

Es mag ein Zufall sein, dass in Krems zwei Belege der amuletthaften Nutzung von Kleingrafiken vom Wallfahrtsort Maria Schoßberg vorliegen. Allerdings gab es in Krems-Stein, genauer gesagt im ehemaligen Kapuzinerkloster Und zwischen beiden Städten, ein ‚Heiliges Bründl‘, wo ab 1643 Wunderheilungen bei einer 1618 aus Prag hierher gebrachten Marienstatue bezeugt sind. Nach der Aufhebung des Klosters wurden 1796 die Gnadenstatue und der Hauptaltar allerdings in die Kremser Pfarrkirche St. Veit übertragen, wo sie sich bis heute in der ersten Seitenkapelle an der linken Seite befinden. Das Hauptbild des Alters über der Gnadenstatue zeigt nun genau jene Motivdetails, die wir sie aus Maria Schoßberg kennen, beispielsweise den hängenden rechten Arm des Leichnams. Allerdings ist Christus nicht bekrönt und die Gottesmutter trägt keinen Kegelmantel. Auch wenn sich daraus keine Verehrung des Vesperbilds im Kloster Und ableiten lässt, so zeigt sich doch eine auffällige Verbindung – möglicherweise haben die Kapuziner die Verehrung der Schmerzhaften Mutter Gottes von Schoßberg in Krems/Stein gefördert. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Wunderheilungen von Maria Schoßberg ab 1710 kommissarisch untersucht wurden, das Schluckbildchen aber bereits 1711 (!) im Turmknopf der Minoritenkirche von Stein landete. Dies spricht einserseits für ein entsprechend rasches Einsetzen der Wallfahrtspraxis und andererseits für eine ebenso rasche Propaganda.
Der Turmknauffund aus Stein ist aktuell (Mai 2025–Mai 2026) im museumkrems in der Sonderausstellung „Wie im Himmel, so auf Erden – wie auf Erden, so im Himmel“? ausgestellt.
Ich danke Ute Scholz und Judith Benedix, ASINOE GmbH, für die Zurverfügungstellung des Fundstücks für diesen Blog, sowie Karin Kühtreiber für Hinweise zu Vergleichsfunden.
Weiterführende Literatur:
Ernst Englisch, Wettersegen und Wetterbann. Die Turmkapsel der Steiner Minoritenkirche als Beispiel barocker Volksfrömmigkeit, in: Mitteilungen aus dem Kremste Stadtarchiv 15–16, 1975–1976, S. 183–191. Online: https://www.mitteilungen.at/wp-content/uploads/2023/03/MiKrStA_15-16_183-191_Englisch_Fuchs.pdf (Zugriff: 29.5.2025).
Maria Farka, Totenbrauchtum, in: Fundort Kloster. Archäologie im Klösterreich. Katalog zur Ausstellung im Stift Altenburg vom 1. Mai bis 1. November 2000, Fundberichte aus Österreich Materialheft A8, Wien 2000, S. 308f., Kat.Nr. 28.62. (Vergleichsfund aus Klostermarienberg).
Gustav Gugitz, Österreichs Gnadenstätte in Kult und Brauch, Band 2: Niederösterreich und Burgenland, Wien 1955, S. 73f. (in Bezug die Bründlkapelle im Kloster Und).
Karin Kühtreiber, Siedlungsplatz – Pilgerstätte – Friedhof. Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Funde der Grabungen am Michelberg 2010 – 2013, in: Ernst Lauermann u. Volker Lindinger (Hg.), Der Michelberg und seine Kirchen. Eine archäologisch-historische Analyse. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Landesarchäologie Niederösterreichs, Rahden/Westfalen 2017, S. 143–200, hier: S. 173–175. (Vergleichsfunde vom Michelberg).
Hanns Otto Münsterer, Amulettkreuze und Kreuzamulette. Studien zur religiösen Volkskunde, Regensburg 1983, hier: S. 153 u. Abb. 50. (in Bezug auf den Wallfahrtsort Heilig Kreuz in Ingolstadt, Votivbild der Pietà).
Walpurga Oppeker, Überlegungen zur Bedeutung der regionalen Verbreitung der Gnadenbilder der Pietà in Niederösterreichs Kleindenkmälern (Maria Dreieichen, Maria Taferl, Maria Schoßberg), in: Thomas Kühtreiber, Wallfahrt und Regionalität in Mitteleuropa in der Frühen Neuzeit (17.–18. Jahrhundert). MEMO Sonderband 1, 2022, S. 81–120, Pdf-Format, doi: 10.25536/2022sb01_04.